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Zwerge mit riesigem Potenzial

Die Nanotechnologie steckt bereits in Sonnencremes, Funktionsjacken oder neuen Alufolien. So breit das Einsatzgebiet mit fast unsichtbaren Teilchen auch ist, so unbekannt und unerforscht sind die Auswirkungen.

Von Matthias Christler

Innsbruck –Ein Salzkorn schmeckt immer salzig, egal wie groß oder winzig klein es ist. Klingt ja logisch, ist aber grundlegend falsch. Die Größe spielt wirklich eine Rolle, und zwar eine gewaltige, denn ein Material, das immer wieder zerstückelt wird, entwickelt völlig neue Eigenschaften.

Die Nanotechnologie macht sich das zunutze. Forscher haben in den vergangenen zehn Jahren Fortschritte erzielt, die manche schon von der nächsten „industriellen Revolution“ sprechen lassen. Ein 0,08 Millimeter dünnes Haar muss 8000- bis 80.000-mal geteilt werden, erst dann erreicht man den Bereich eines Nanometers, dem milliardsten Teil eines Meters.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, in den Nanobereich zu kommen. Die einfachste und verständlichste Variante ist die Teilung. „Dadurch wird die Oberfläche des Materials größer und es ergeben sich völlig neue Materialeigenschaften, bei denen bereits quantenphysikalische Effekte eine Rolle spielen“, sagt die Innsbrucker Physikerin Doris Steinmüller-Nethl.

So unvorstellbar klein Nano sein mag, längst ist die Technologie Teil unseres Lebens geworden: Funktionsjacken weisen zum Beispiel Wasser und Schmutz ab, weil ihre Oberfläche eine spezielle Struktur aufweist. Abgeschaut wurde diese von der Natur. Das Lotosblatt hat eine so winzig klein strukturierte Oberfläche, wodurch die Tropfen abperlen. Aber nicht nur das: In den Tropfen wird auch noch der Schmutz abtransportiert. Deshalb sehen Lotosblätter sauber aus. Mit dem gleichen Prinzip sollen auch Jacken sauber bleiben.

Es gibt noch Hunderte Beispiele mehr, denn die unterschiedlichsten Materialien können in der Nanotechnologie eingesetzt werden. Man schmiert sich Sonnencreme mit Titandioxid als UV-Filter ins Gesicht, eine schwarz beschichtete Alufolie macht das Essen schneller warm und in Singapur wird an einer unsichtbaren Zahnspange gearbeitet – deren Material besteht aus superfeinem Granulat und hauchdünnen Fasern.

Nano, das aus dem Griechischen kommt und „Zwerg“ bedeutet, bringt außerdem der Medizin interessante Möglichkeiten. In den USA, weltweit ein Vorreiter in der Technologie, weil der damalige Präsident Bill Clinton Gelder für die Forschung freigab, wird an einer Kunsthaut aus Nanodrähten mit Sensoren gearbeitet. Damit sollen Prothesenträger wieder so etwas wie ein Fingerspitzengefühl bekommen.

Auch in der Bautechnik mit speziellen Dämmmaterialien und bei Umwelttechnologien gibt es Riesenfortschritte. Steinmüller-Nethl zählt eine Anwendung auf, die zugleich auf ein Dilemma hindeutet: „Nano hilft zum Beispiel bei der Wasseraufbereitung, aber die ärmsten Länder können es nicht einsetzen, weil sie keine Lizenz für die Technologie besitzen“, sagt sie. Das ethische Problem ist nicht das einzige. „Man kann das Material im Nanobereich nicht angreifen. Das ist ähnlich wie mit der Radioaktivität, von der wir auch keine klare Vorstellung haben. Daher kommt die Unsicherheit bei Nano“, erklärt sie.

Je kleiner, desto giftiger? Dieser Verdacht hat sich in den vergangenen Jahren aufgedrängt. Können diese winzig kleinen Zwerge über die Atemwege und die Haut in den Körper gelangen oder gefährden sie die Umwelt? Ein weiteres Problem ist, dass im Moment nicht einmal klar ist, wie viele Nanoteilchen verschiedenster Materialien schon in die Natur gelangt sind und wie sie dort reagieren. Wiener Forscher entwickeln deshalb derzeit eine Methode, mit der die Kleinstpartikel in Gewässern aufgespürt werden können. Damit wollen sie vorerst einmal die Titandioxid-Nano­partikel, die in Sonnencremes verarbeitet sind und über die Haut ins Wasser gelangen, aus der Alten Donau filtern.

Steinmüller-Nethl will die Nanotechnologie auf der einen Seite weder in den Himmel loben und auf der anderen Seite nicht verteufeln: „Bislang wurde diese Debatte oft sehr unsachlich geführt. Man muss jeden einzelnen Fall, jedes Produkt einzeln betrachten“, fordert sie.

Inzwischen gibt es laut dem Woodrow-Wilson-Center in Washington mindestens 1300 Produkte am Markt, in denen die Technologie eingesetzt wird – das sind allerdings nur jene Produkte, bei denen die Hersteller das auch freiwillig kennzeichnen. „Eine Kennzeichnung auf den Produkten ist derzeit nicht vorgeschrieben. Wenn es aber auf der Packung steht, kann der Konsument selbst entscheiden, ob er es trotzdem will“, sagt die Physikerin. Ab 2013 müssen in der EU zumindeste kosmetische Produkte und Lebensmittel gekennzeichnet werden.

Wie wichtig Aufklärung darüber ist, hat auch das Gesundheitsministerium erkannt. Mit der neuen Homepage www.nanoinformation.at soll offen über die Gefahren und Chancen dieser neuen Technologie informiert werden.

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