„Im Grunde bin ich relativ normal“
Der in Frankreich lebende Österreicher Peter Handke zählt zu den prominentesten und wichtigsten Autoren der Gegenwart. Am 6. Dezember feiert er seinen 70. Geburtstag. Der APA gab er im Vorfeld ein ausführliches Interview.
Herr Handke, Ihnen wurde gerade der Große Kunstpreis des Landes Salzburg für Literatur zugesprochen. Ausgerechnet am 6. Dezember, Ihrem Geburtstag, will man den Preis überreichen. Werden Sie ihn persönlich entgegennehmen?
Peter Handke: Ja. Auf diese Weise bin ich auch aus dem Dilemma erlöst worden, wie ich meinen Geburtstag feiere. Er sollte doch mit Freunden begangen werden, das wäre dann Berlin oder dort auf dem Land gewesen, wo wir seit zwei Jahren einen zweiten Wohnsitz haben. Dadurch, dass Salzburg mit dem Preis kam, ist dieses Problem gelöst worden. Ich werde meine Kinder und meine Freunde hierher einladen.
In der Begründung heißt es, dass Sie in Salzburg besonders produktive Jahre verlebt hätten. Waren es auch glückliche Jahre, an die Sie gerne zurückdenken?
Handke: Ich denke gerne an Salzburg, vor allem an die Umgebung. Nach meiner anfänglichen Skepsis hat es sich zu meiner Freude ergeben, dass ich ins Land aufgebrochen bin, zu Fuß, rundherum, und dann fing Salzburg samt Stadt an mir ans Herz zu wachsen. Natürlich vielleicht auch durch die Arbeit. Man weiß nie, was zuerst da ist: Kommt die Freude durch die Arbeit oder ist die Freude zuerst da und dann arbeitet man vor lauter Freude. „Glücklich“ kann man nicht sagen, aber es war eine Zeit, in der ich begonnen habe, mich als Erzähler mehr mit Landschaft auseinanderzusetzen. Ein Buch wie „Der Chinese des Schmerzes“ wäre ja ohne die Morphologie des Landes Salzburg und der Stadt nicht entstanden. Auch „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“ wäre ohne diesen Zipfel Erde nicht entstanden, und auch der „Nachmittag eines Schriftstellers“ hat, obwohl Salzburg nicht genannt ist, im Hintergrund die Stadt und den Rand der Stadt.
Die Menschen haben Sie auch in guter Erinnerung? Da gab es doch Vorfälle mit Salzburger Behörden?
Handke: Ja, das ist natürlich auch meine eigene Verantwortung – durch eine gewisse Hitzköpfigkeit meiner Seite bin ich einmal mit der Polizei zusammengeraten - oder sogar zweimal... (denkt nach und lacht schließlich) Für acht Jahre ist das nicht so arg.
Der Bundespräsident hat vor Ihrem 70. Geburtstag bereits einen Abend zu Ihren Ehren gegeben. Da meinten Sie, Sie müssten sich immer vorher überlegen, wie Sie das spielen sollen. Schlüpfen Sie bei solchen Anlässen in eine andere Rolle?
Handke: Zum Glück bin ich in vielem ein nicht gerade gespaltener Mensch, habe aber die Möglichkeit, mich aufzuspalten - um das Wort „schizophren“ zu vermeiden. Sonst wäre ich auch kein Theaterautor geworden. Was einerseits eine Bedrohung ist, das Schizoide an mir, kann andererseits ein Spiel werden. Ich hätte mich eigentlich von Anfang an dafür entscheiden müssen, ein zurückgezogener Mensch zu bleiben - was hauptsächlich meiner Natur entspricht. Sonst wäre ich auch nie Schreiber geworden. Andererseits war dann der Zwiespalt immer: Du bist Schreiber und bist auf eine Weise auch eine öffentliche Person. Ich hab das Problem nie wirklich gelöst. Eigentlich bin ich ja einer, der völlig für sich leben möchte, und andererseits spiele ich manchmal die Rolle. Das hab ich mein Leben lang nicht gelöst. Es gibt Schriftsteller wie Salinger oder Thomas Pynchon, die haben sich völlig zurückgezogen oder haben sich nie gezeigt. Eine Zeit lang habe ich gedacht, das ist auch eine Art Ideal. Aber das habe ich nie durchgehalten. Es gibt auch Schriftsteller, die sind immer öffentlich. Günter Grass zum Beispiel. Bei vielen deutschen Schriftstellern ist das so, bei Österreichern weniger. Es gibt etwa Robert Menasse, der öffentlich figuriert und sich dazu entschieden hat. Ich aber bin immer hin und her zwischen Öffentlichkeit und völliger Zurückgezogenheit. Bis jetzt. Bis zu meinen 70 Jahren. Aber wahrscheinlich ist das richtig so.
Es gibt zwei sehr unterschiedliche Bilder, die von Ihnen existieren: Der öffentliche Handke, der introvertiert und unnahbar wirkt und plötzliche Ausbrüche hat, vor denen man sich hüten sollte. Und der private Handke, der sich um Freunde und Familienmitglieder sorgt, der warmherzig ist. Diese beiden Pole passen kaum zusammen.
Handke: Aber so ist meine Natur, und ich glaube, das ist nicht nur meine Natur, sondern das ist die Menschennatur. Ich bin kein Extremfall. Nur dadurch, dass ich eben der und der bin mit meiner Arbeit, wirkt es manchmal extrem. Aber im Grunde bin ich relativ normal - im Vergleich zu den meisten anderen Leuten. Kommt mir vor. Also, wenn ich an viele andere Leute denke, die sich ganz normal geben im Alltag: Je näher man die kennenlernt, desto irrwitziger werden die. Aber nicht im spannenden Sinn. Langweilig irrwitzig. Das hat mich schon immer interessiert. Ein Mann aus Griffen (Handkes Kärntner Heimatort, Anm.) hat einen Film über mich gemacht. Da sagen diese und jene Leute, dass ich immer ein Außenseiter war. Das stimmt natürlich nicht. Diese Leute wissen selber nicht, dass sie im Grunde Außenseiter sind. Je mehr Insider es gibt, desto mehr werden die Insider spüren, dass sie im Grunde zugleich auch Outsider sind. Wir sind alle zerrissen heutzutage.
In diesem Film, „Griffen“ von Bernd Liepold-Mosser, gibt es eine sehr schöne Passage, in der jemand einen Buchtitel von Ihnen zitiert und sinngemäß sagt: „‘Die Angst des Torwarts beim Elfmeter‘ - die hat der Peter nie gekannt. Der war nie selbst bei uns am Fußballplatz, sondern ist immer irgendwo unter einem Baum gesessen und hat gelesen.“
Handke: Das stimmt gar nicht. Der weiß gar nichts von mir. „Die Angst des Torwarts beim Elfmeter“ heißt nicht, dass der Torwart Angst hat. Der Titel heißt so, aber die Geschichte geht ganz anders, und am Ende ist der Tormann völlig ohne Angst. Er hat einen gelben Pullover an, und dieser Pullover zieht den Elfmeterschützen so an, dass er ihm direkt in die Arme schießt. Also auch da wieder ein Widerspruch - zwischen dem Äußeren, dem Titel, und dem Inneren, was dann zwischen den Buchdeckeln erzählt wird. Aber ich hab gern Fußball gespielt. Ich war ein ganz guter Linksaußen, war schnell. Nur beim Kopfball war ich nicht sehr begabt, aber mit den Beinen war ich technisch nicht ganz daneben.
Haben Sie auch mit Ihren Töchtern Fußball gespielt?
Handke: Ja, wir haben halt so hin- und hergeballert. Gegen die Hauswand. In der Zeit, die ich mit meiner ersten Tochter alleine verbracht habe, bin ich nicht so richtig zum Gehen gekommen - da hab ich oft mit mir selber Fußball gespielt, bis die Nachbarn gekommen sind, denn das hat doch einigen Krach gemacht.
Ab wann haben Sie begonnen, sich zu absentieren? Ab wann hat sich der kleine Peter als etwas Besonderes begriffen?
Handke: Hm. Ich glaube, das war sehr früh. Das war von Anfang auch dieses Dilemma zwischen, wie Camus sagt, solidaire oder solitaire. Ist man solidarisch oder solitärisch? Mir scheint es eher so, dass ich solidarisch, oder „mit anderen“ eher sein kann, wenn ich allein bin, dass ich mehr in Gedanken andere leben kann, wenn ich für mich bin. Wenn ich aber mit anderen bin, kommt mir vor, dass ich das manchmal eher vortäusche. Das war schon als Kind so, da bin ich in manchen Momenten, das können Sie Anfälle nennen, einfach vom Dorf weggerannt. Nicht als Flucht, sondern ich bin einfach von den Häusern weg, an die Waldränder, um den Wind zu hören. Eigentlich total bescheuert. Aber ich hab das gemacht als Sieben-, Achtjähriger. Oder wenn es geregnet hat, hab ich einen Stuhl aus dem Haus geholt und mich vor den Regen gesetzt. Es gibt größeren Wahnsinn als den. Aber so hat es angefangen. Das ist auch eine Geschichte, an der ich jetzt schreibe.
Haben Sie diese Eindrücke schon damals versucht in Worte zu fassen?
Handke: Aber nein. Aber damals hat sich mein Beruf durch das Hören, dass ich durch das Hören mein Existieren gespürt habe, vorgezeichnet. Das Schreiben ist ja nicht gleich ein Beruf. Erst nach 20, 30 Jahren, wenn man doch einiges erlebt hat, einige Höhen und Tiefen auch durch das Schreiben, dann wird es ein Beruf. Es war natürlich völlig irrwitzig, dass man Schriftsteller wird. Heutzutage ist es viel normaler. Es gibt so viele Schriftsteller, wie es noch nie gegeben hat. Vor lauter Verzweiflung flüchten die Leute ins Schreiben. Ich glaube, es ist wirklich eine Art Flucht. Zu meiner Zeit, als ich 20, 25 Jahre alt war, war es überhaupt nicht normal, als Schriftsteller zu existieren. Das ist ein großer Unterschied zu heute.
„Man muss Not haben und zugleich Lust zu schreiben“
Sie haben ja Jus studiert. Hätten Sie sich wirklich auch als Richter oder Rechtsanwalt vorstellen können?
Peter Handke: Das kam von einem Lehrer, der mir nahe gekommen ist, weil er auch Bücher geschätzt hat. Er hat mir geraten, ich sollte Jus studieren, denn da hätte ich nebenbei viel Zeit zu schreiben. Aber viel Zeit zu haben, heißt überhaupt nichts. Man muss eigentlich Not haben und zugleich Lust zu schreiben. Dann schreibt man. Man muss selber die Zeit schaffen zum Arbeiten. Gerhard Roth, er ist ja auch heuer 70 geworden, hat mir erzählt, er hat sich ins Badezimmer eingeschlossen und auf dem Klosett geschrieben. Er hatte weder Zeit noch Raum, aber er hat sich Raum und Zeit geschaffen. Es ist viel besser, wenn das Schreiben so entsteht, als wenn jemand müßig viel Zeit hat.
Sie haben jüngst einen „Versuch über den stillen Ort“ publiziert. Da ist auch bei Ihnen das Klosett ein Rückzugsort, ein Fluchtort vor den Menschen, ein Ort, an dem man alleine sein kann.
Handke: Ich denke, das geht nicht nur mir so. Sonst würde ich es ja nicht aufgeschrieben haben. Dass man in der Gesellschaft die Sprache verliert - das war eigentlich das Thema. Man ist völlig wirr von dem Gerede in der Gesellschaft, und eigentlich ist niemand schuld. Das ist ja das Schlimme: Es ist die Hölle, aber niemand ist schuld. Wenn man ein bisschen empfindlich ist - empfindlich zu sein ist ja keine Schande - wird man mit Stummheit geschlagen in der Gesellschaft. Und plötzlich macht man die Tür zu, sperrt ab, und auf einmal fängt die Sprache wieder an. Es fängt an in einem zu reden, aber in einer fast erlösten Weise. Die Gnade des Sprechens kommt zurück.
Sie sind hinaus in die Welt, aber den Kontakt zu Ihrem Heimatort Griffen haben Sie offenbar nie ganz abgebrochen?
Handke: Ich bin immer wieder zurückgekommen. Auch dadurch, dass damals meine Schwester noch gelebt hat, und mein Bruder sehr früh krank geworden ist und nicht mehr als Zimmermann und Autobahnarbeiter wirken konnte, und auch den Friedhof gibt es dort. Außerdem ist das wirklich ein herrlicher Ort, nicht Griffen selber, das ist ein, wie man früher gesagt hat, Marktflecken, das Wort Flecken ist gar nicht so unpassend. Aber das Stift Griffen hat mich immer angezogen. Ich bin manchmal in der Dämmerung gekommen, dass mich niemand gesehen hat. Durch das Dorf, wo man die Kindheit verbracht hat, zu gehen, die Stimmen zu hören und meinetwegen auch die Fernseher in den Häusern zu sehen, das war doch sehr schön.
Haben Sie selbst einen Fernseher?
Handke: Ja, schon.
Man hat ja immer den Eindruck, dass Sie viele Dinge der modernen Welt nicht brauchen oder bewusst ablehnen.
Handke: Nein, ich hab Mobiltelefon und... Aber ich sehe lieber in den Bars oder Cafés fern, wenn Fußball ist, mit anderen zusammen. Ich hab auch gern, wenn der Ton abgedreht ist. Zu Hause schalte ich gegen Mitternacht ein, für das Wetter und die Weltnachrichten.
Und E-Mail?
Handke: Ich lehne es nicht ab, aber es hat sich nicht ergeben. Es wäre schon nützlich, denke ich mir. Ich überlege manchmal, ob ich nicht doch versuchen soll, da einzusteigen. Denn es ist ja wirklich sehr praktisch. Aber manchmal ist es auch schön, diese altmodischen Kommunikationsformen zu benützen. Dann bin ich ganz stolz auf mich, dass ich wieder einen Flug reserviert habe oder ein Hotel oder so etwas.
Wenn man etwa liest, dass Sie gerne in den Wäldern Nahrhaftes sammeln und kochen, fragt man sich: Ist das jemand, der sich bewusst aus der Zeit nimmt und nicht mitmachen will, oder jemand, der versucht, das einfache Leben zu predigen?
Handke: Ich predige überhaupt nicht, obwohl ich nichts gegen schöne Predigen habe. Nein, ich glaube, ich bin immer noch ein Kind meiner Zeit. Ich bin ein Zeitgenosse, manchmal auch im zornigen Sinn, aber das geht vielleicht nicht nur mir allein so. Ich bin überhaupt nicht zurückgezogen, und dass ich gerne in den Wald gehe, kommt erst einmal davon, dass er in der Nähe ist, dass es dort, wo ich wohne, nicht mehr als 73 Meter sind bis an den Waldrand. Außerdem fängt sich der Kopf im Wald gut mit dem übrigen Körper an zu verbinden, es genügen ein paar Schritte und der ganze Lärm der Rasenmäher und der Hunde ist weg. Ich verstehe nicht, dass die Leute nicht so lärmempfindlich sind wie ich. Kaum ist man dann in die Stille übergegangen, geht die Stille über auf einen selber. Ich brauche das. Ich verstehe nicht, dass viele andere es nicht mehr brauchen. Ich verstehe auch nicht, dass viele in die Großmärkte gehen statt in die kleinen Geschäfte ihrer Umgebung. Das tägliche System von Kauf und Verkauf tut der Seele gut, wenn man ein Gegenüber hat. Jetzt haben Sie mich erwischt, dass ich fast wirklich ins Predigen gekommen wäre.
Sind Sie überhaupt von der Konsumwelt verführbar?
Handke: Genau wie Sie. Wenn ich mir einmal etwas zum Anziehen kaufe, dann kauf ich mir gleich zwei, drei, vier Sachen. Es ist kein Kaufrausch. Aber es tut mir gut, mit dem Verkäufer zu sprechen. Manchmal zwinge ich mich dazu, einmal am Tag etwas zu kaufen. Weil das System belebend ist.
Handeln Sie dann auch?
Handke: Handeln kann ich nicht. Und wenn ich das versucht habe, wurde ich sofort durchschaut. Ich kann auch nicht lügen, nur aus Spaß, als Spiel. Ich kann nicht mit dem Vorsatz, etwas zu gewinnen, lügen. Ich kann nur Spaß-Lügen.
Sie suchen die Stille, wohnen aber immer an der Peripherie, von der es nicht sehr weit ist zu den Menschen.
Handke: Ja, dieses Hin und Her von Zentrum und Peripherie, Isoliertheit bei der Arbeit, und nach dem Weggedriftetsein in eine andere Welt, die Schreibwelt, die Formenwelt, dann in die Großstadt zu kommen - diesen Rhythmus finde ich nicht schlimm. Wir haben jetzt dieses andere Haus in einer der menschenleersten Gegenden Frankreichs, eine fast rein landwirtschaftliche Gegend. Es ist noch nicht ausgestorben, hat eine gewisse Kargheit, die einen kombinieren lässt: Wie komme ich täglich zurecht? Wie komme ich da hin, wenn ich mit dem Rad fahre? Die Leute rasen wie die Teufel. Gerade in den menschenleeren Gegenden wird sehr schnell Auto gefahren.
Wenn Sie in Paris sind, nutzen Sie dort das kulturelle Angebot?
Handke: Ich gehe ins Kino. Vor allem, um alte Filme wiederzusehen. Das ist ja in Paris ideal. Immer noch.
„Schreiben ist für mich nicht normal geworden“
Die Viennale hat zum 50-Jahr-Jubiläum ein Special angekündigt: „Peter Handke geht ins Kino“. Haben Sie Ihre Filmliste schon abgegeben?
Handke: Nein. Ich habe im Kopf schon 15 Filme gehabt, aber ich habe immer gewartet, dass man mir eine Deadline gibt. Ich hätte ein paar Filme von John Ford gewählt, „Young Mr. Lincoln“, „The Man who shot Liberty Valance“, und von Ozon zwei Filme, aber auch ein paar afrikanische und koreanische Filme hatte ich im Sinn gehabt, vielleicht von Truffaut „L‘Enfant sauvage“ und von Straub etwas.
Ihre eigene filmerische Tätigkeit ist begraben und abgeschlossen?
Handke: Begraben kann man nicht sagen. Aber es waren damals eher Verlegenheitslösungen. Bei der „Linkshändigen Frau“ hat sich niemand anderer gefunden, das zu verfilmen. Und es hat mir dann schon Freude gemacht. Da hab ich auch gemerkt, dass ich gut mit anderen arbeiten kann. Bei all‘ diesen vier Filmen im Laufe meines Lebens hab ich gemerkt, dass ich wie ein Trainer ganz geistesgegenwärtig sein kann, wenn‘s darauf ankommt. Mein ganzes Leben war zwischen fruchtbarer Geistesabwesenheit und manchmal etwas steriler Geistesgegenwart, kommt mir vor.
Beim Trainer denkt man auch ans Theater. Das Theater haben Sie als Ausführender aber nie betrieben. Warum? Das läge doch sehr nahe. Sie haben doch anders als etwa Elfriede Jelinek eine relativ genaue Vorstellung, wie Ihre Stücke aussehen sollen auf der Bühne.
Handke: Hm. (denkt lange nach) Dafür sind die Regisseure da. Ich bin ein Freiluftmensch. Ich hab ein Vorurteil gegen Theater als Arbeitsraum für mich. Schauspieler oder Regisseur zu sein war nie ein Korridor zum Licht für mich.
Haben Sie ein neues Theaterstück im Kopf?
Handke: Ich bin am Sinnen, noch ein Stück zu schreiben, um über ein Theaterproblem herumzufantasieren. Aber ich bin dabei, eine Prosa zu schreiben. Das, worüber wir gesprochen haben, mit dem „an den Waldrand gehen“ und dem „Wind hören“ kommt vor. Es geht aber nicht darum. Es geht um etwas Schlimmeres.
Man hat auch oft das Gefühl, Sie erwarten etwas Schlimmeres. Sie wirken oft, als seien Sie auf der Hut. Ist Ihnen in Ihrem Leben so viel Böses widerfahren, oder liegt das einfach in Ihrer Natur?
Handke: Das würde ich auch gerne wissen. Ich habe eher den Eindruck, dass ich ein vertrauensvoller Mensch bin und dass ich dann manchmal eins drüber gezogen bekommen habe durch mein Öffnen. Und dass ich dann gemerkt habe, dass meine Melodie nicht ankommt, und ich die Tendenz entwickelt habe, mich zu verschließen oder auf der Hut zu sein. Mein schizoides System...
Dazu würde passen, dass auch das Gegenläufige passiert. Man hat auch den Eindruck, wenn‘s dem Peter Handke zu amikal wird, versucht er zu provozieren, um dieses allgemeine Verbindliche ein bisschen aufzumischen.
Handke: Richtig, ja. Ich bin nicht in dem Sinn - was eine herrliche Existenzweise ist - eine „anima naturaliter christiana“, also keine von Natur aus christliche Seele. Diese Menschen, die wirklich schaffen, wenn sie auf die rechte Wange geschlagen werden, dann halten sie die linke hin. Das ist unglaublich. In den Evangelien ist eigentlich alles gesagt, was ich nicht schaffe. Aber das ist nicht meine Sache.
Manche Szenen haben sich in der Öffentlichkeit eingebrannt. Ihr Auftritt 1966 in Princeton etwa, als Sie den damals arrivierten Autoren „Beschreibungsimpotenz“ vorwarfen, oder die Diskussion im Akademietheater 1996 zu Ihrer „Winterlichen Reise“. Wenn Sie später auf solche Situationen zurückschauen, sagen Sie: Ja, gut, dass ich provoziert habe - oder hätten Sie es lieber rückgängig gemacht?
Handke: Ich habe da nicht provoziert. Ich bin provoziert worden. Es gibt auch stille, intensive, erzählerische Provokationen, das waren damals meine Jugoslawien-Texte, die natürlich in der gewaltigen Einseitigkeit, auch sprachlichen Einseitigkeit, die vorher geherrscht hat, dadurch, dass die eine andere Sprache benutzt haben, schon als Provokationen gewirkt haben. Im Akademietheater bin ich - wie man heute so sagt - durchgedreht für zwei Minuten. Das war sicher nicht schön. Aber man kann nicht immer schön sein.
Der Bundespräsident hat gemeint: Peter Handke eine Freude zu machen ist nicht wirklich leicht. Womit kann man Ihnen eine Freude machen?
Handke: Indem man mir Ruhe... Für mich ist der Grund alles Lebendigen die Ruhe. Aus der Ruhe kommt alles. Ruhe umfasst Freude, umfasst Liebe. Ruhe ist das Universellste, das ist die Quelle allen Lebens und das habe ich nicht gefunden. Aber manche Momente, da hab ich gewusst, jetzt ist die Ruhe da, nicht die ewige Ruhe, aber die Ruhe, die Leben bedeutet. Man muss sich aber auch schön aufregen, wie Goethe gesagt hat: Der Dichter ist aufgeregt. Ohne Aufregung kann nichts entstehen. Aus der Aufregung muss man zur Arbeit gehen, zum Schreiben, zum Formen. Die Ruhe wird einem ganz unheimlich, weil die Ruhe zur Friedhofsruhe werden kann, und dann muss wieder die Aufregung kommen und weiter so fort. Ich bin wahrscheinlich wie Sie: Wenn das Telefon ein paar Tage überhaupt nicht klingelt, dann denkt man, das ist aber schade, dass man mich dauernd in Ruhe lässt. Und wenn dann das Telefon läutet, denkt man: Was ist denn das wieder für ein Arschloch?
Dieser Wechsel zwischen Aufregung und Ruhe macht wohl das Leben aus. Es heißt ja: Stillstand bedeutet Tod.
Handke: Ja, etwas vorzuhaben ist wesentlich für das Lebensgefühl. Ein Abenteuer, eine Expedition vorzuhaben... Schreiben ist für mich überhaupt nicht normal geworden, ist immer noch mit Scheu verbunden. Die Schwellenangst ist immer vorhanden. Hat man sie überschritten, kommt dann seltsamerweise durch die Spracharbeit das Gefühl des Im-Recht-Seins, auch für andere zu wirken, zutage. Das ist ein seltsamer Beruf. Aber wie sagt Goethe: „Den edlen Seelen vorzufühlen“. Schreiben heißt, edlen Seelen vorfühlen. Natürlich muss man erst einmal nachfühlen, aber Schreiben selber ist ein Vorfühlen. Und so geht es weiter. Und kein Vorfühlen mehr zu praktizieren, da wäre ich lieber nicht mehr am Leben.
Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA.