Schumacher-Abschied ohne Wehmut: „Habe neben der Formel 1 ein Leben“
Seine Karriere ist einmalig. Seine Rekorde sind vielleicht für immer unerreichbar. Am Sonntag steigt Michael Schumacher endgültig aus dem Cockpit. Nach dem Großen Preis von Brasilien ist Schluss. Von Wehmut - noch - keine Spur.
Sao Paulo - Noch ein Grand Prix, noch eine Qualifikation, noch ein paar Trainingsrunden und Pressekonferenzen - das war‘s dann. Keine Trauer, kein Wehmut? „Eher nicht, nein“, sagte Michael Schumacher in Sao Paulo, ohne zu zögern. „Ich habe neben der Formel 1 ein Leben, darauf freue ich mich“, betonte er vor seinem letzten Rennen. Nach fast zwei Jahrzehnten steigt der lange unumstrittene Grand-Prix-König aus der Königsklasse aus.
„Ich bin relativ relaxt und ausgeglichen“ beschrieb Schumacher seine Gefühle vor seinem Abschieds-Grand-Prix am Sonntag (Start: 17.00 Uhr). „Das ist nicht besonders emotional, zumindest im Moment. Vielleicht wird sich das noch ändern.“ Seine Gemütslage und Situation seien anders als 2006, als er erstmals zurückgetreten war - und dann gut drei Jahre später ein Comeback feierte. Damals hatte er - ebenfalls in Sao Paulo - beim Saisonfinale noch minimale Chancen auf den achten WM-Titel gehabt. Fernando Alonso, später bei Ferrari sein Nachfolger, triumphierte aber. So blieb es bei Schumachers sieben WM-Wundern.
Womöglich ein Rekord für die Ewigkeit. Wie manch anderer auch: Er gewann 91 Rennen, holte 68 Mal die Pole-Position und fuhr 77 Mal die schnellste Rennrunde. Das ist aber nur ein kleiner Auszug aus dem Rekordbuch des Rheinländers.
Dass er in seinen drei Comeback-Jahren die Liste nicht entscheidend verlängern konnte, lag weit weniger an ihm selbst als an seinem Auto. Mit dem Silberpfeil war nicht mehr drin, als ein mickriger dritter Platz in Valencia und die Qualifikationsbestzeit von Monaco - beides in dieser Saison. Die Hoffnungen, die Schumacher und vor allem auch Mercedes mit dem sensationellen Comeback verbunden hatten, erfüllten sich sportlich nicht mal ansatzweise.
Siege blieben für Schumacher unerreicht, vom Titel durfte er nicht mal träumen, nachdem seine Rückkehr am 23. Dezember 2009 verkündet worden war. Bei der Präsentation schwärmte der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche schon vom „deutschen Nationalteam“ angesichts der Fahrerpaarung Schumacher/Nico Rosberg: Die Nationalflagge müsse bald in Schwarz-Rot-Silber umgefärbt werden.
Ziele „klar verfehlt“
Die Realität sah anders aus, nämlich glanzlos. Schumacher, ganz und gar nicht frei von eigenen Fehlern in dieser Zeit, verabschiedet sich dennoch als zufriedener Mensch: „Ich bin bald 44 und kann immer noch mit der Weltspitze mitfahren, meine Ausrufezeichen setzen.“ Er hat auch keine Probleme damit zuzugeben, dass die gesetzten Ziele „klar verfehlt“ wurden und das Projekt schlichtweg gescheitert ist.
Längst geht Schumacher mit Niederlagen gelassener um. Die Verbissenheit seiner Erfolgsjahre von 1991 bis 2006 ist einer gewissen Gelassenheit gewichen. Auch wenn der Ehrgeiz bis zum Ende seiner Karriere ungebremst geblieben ist. Schumacher ist mit sich im Reinen und hat mit dem zweiten Teil seiner Karriere wenig WM-, aber viele Sympathiepunkte gesammelt. Beim Deutschen Sportpresseball wurde er jüngst als „Legende des Sports“ geehrt. Für seinen Teamchef und langjährigen Begleiter, Ross Brawn, ist er ein „Jahrhundertsportler“.
Die kometenhafte Karriere ließ sich nicht einmal erahnen, als der am 3. Januar 1969 in Hürth-Hermülheim geborene „Mischaäl“ als Vierjähriger seine ersten Fahrversuche in einem umgebauten Kettcar mit einem fünf PS starken Mofamotor startete. Sein Vater Rolf war Kaminmaurer und dann Pächter der Kartbahn in Kerpen, seine Mutter Elisabeth betrieb dort später die Gastronomie. Die Familie verfügte nicht über die finanziellen Mittel für ein Engagement im Motorsport.
Dank seines Talents und unglaublichen Siegeswillens fand der gelernte KfZ-Mechaniker private Förderer, die ihm den systematischen Aufstieg über diverse Formel-Klassen finanzierten. 1989 übernahm Willi Weber das Management des vielversprechenden Nachwuchspiloten. Ein Jahr später holte Mercedes Schumacher ins neue Junior-Team. Über Starts in der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft (DTM) und der Sportwagen-WM folgte im August 1991 die Formel-1-Premiere in Spa-Francorchamps. Von da an ging es unaufhörlich nach oben. Nach 19 Jahren und 308 Grand-Prix-Teilnahmen ist am Sonntagabend Schluss.
Ranch in Texas gekauft
Angst, dass ihm vor Langeweile die Decke auf den Kopf fallen und er den Wettkampf bald vermissen könnte, hat er nicht. „Ich möchte absolut verneinen, dass wir Rennfahrer Adrenalin-Junkies sind, aber kompetitiv bin ich schon“, betonte Schumacher. Die neue Herausforderung hat allerdings nur 1 statt 750 PS. „Das ist auch Wettbewerb“, betonte Schumacher. Mit Gattin Corinna kann er auf der neu gekauften „CS“-Ranch in Texas, wo die beiden auch Pferde züchten, fleißig üben. Wenn es dann doch mal wieder ein bisschen schneller und spektakulärer zugehen soll: Schumacher hat schon sein Interesse am Kunstfliegen bekundet.
Und auch vom Motorsport kann der PS-Pensionär aber nicht ganz lassen. „Ich werde auch ein bisschen Go-Kart fahren“, sagte er. Beim „Race of Champions“ im Dezember in Bangkok will er mit seinem Kumpel Sebastian Vettel den Titel verteidigen. Selbst die Formel 1 steht weiter auf dem Programm. „Ich werde da mit Sicherheit auftauchen und mich sehen lassen“, versicherte Schumacher. Aber nur noch als interessierter Besucher.