Italien vor spannender Wahl und einer ungewissen Zukunft
Ex-Premier Silvio Berlusconi mischt wieder mit und macht Italiens Wahlen spannend. Ein Mitte-Links-Bündnis liegt nach den Umfragen zwar leicht vorn. Völlig offen ist aber, wie es in dem Krisenland nach Mario Monti weitergeht. Die Gefahr der Unregierbarkeit belastet Rom.
Rom, Mailand - Nach einem fahlen Wahlkampf mit wenig Visionen und viel populistischen Slogans ist es endlich soweit: Italien wählt am kommenden Sonntag und Montag sein neues Parlament. Damit geht eine mehrmonatige Phase politischer Instabilität zu Ende, die im vergangenen Dezember nach dem Sturz des Kabinetts Monti infolge des Regierungsaustritts der Partei um Medienzar Silvio Berlusconi begonnen hatte.
49 Millionen Italiener sind zu den Urnen gerufen, um 630 Abgeordnete und 315 Senatoren zu wählen. Sie müssen letztendlich entscheiden, ob Italien auf dem rigorosen Sanierungskurs beharren wird, den das Land in den vergangenen 14 Monaten unter der Regie von Wirtschaftsprofessor Mario Monti eingeschlagen hat, oder ob es von der drakonischen Steuer- und Sparpolitik des Technokraten-Kabinetts abweichen wird, die Italien laut den Worten Berlusconis in eine beispiellose Rezession gedrängt hat.
Bersani Favorit, aber Berlsuconi holt auf
Aus den letzten Meinungsumfragen, die bis zu 14 Tagen vor den Wahlen am Freitag veröffentlicht werden durften, geht die Mitte-links-Allianz um Pierluigi Bersani als Favorit gegen den Mitte-rechts-Block Berlusconis hervor, der jedoch dank populistischer Wahlversprechen wie einer Steueramnestie und der Rückerstattung der verhassten Immobiliensteuer IMU zuletzt auf der Aufholspur war. Als drittstärkste Kraft buhlt der Zentrumsblock um den scheidenden Premier Mario Monti um die Gunst der Wählerschaft.
Zwar sind sich die meisten Italiener einig, dass der Wirtschaftsprofessor Italien im Herbst 2011 Italien vor dem Kollaps gerettet hat, in den letzten Umfragen kommt Monti aber nur auf knappe zehn bis 14 Prozent der Stimmen. Bei Talkshows und Polit-Sendungen wirkt Monti oft steif und ein wenig arrogant. Seine Verbündeten, zwei altgediente Politprofis wie der Christdemokrat Pierferdinando Casini und der Ex-Berlusconi-Vertraute Gianfranco Fini, wecken bei der Wählerschaft keine besonderen Sympathien.
Monti vom „Retter“ zum Anhängsel?
Monti, der noch im vergangenen Jahr als „Retter der Nation“ gefeiert wurde, droht daher zum Anhängsel der Mitte-links-Regierung Bersanis degradiert zu werden. Der Ex-EU-Kommissar müsste somit auf seinen ambitionierten Traum verzichten, sich erneut an die Spitze einer Regierung zu stellen, die diesmal fünf Jahre im Sattel bleiben könnte. Das derzeit am leichtesten vorstellbare Szenario ist eine Zusammenarbeit von Bersanis Sozialdemokraten mit Montis im Zentrum angesiedelter Allianz. Bersani hat bereits klargestellt, dass er die Reformagenda von Montis Expertenkabinett fortsetzen will. Bersani könnte dann möglicherweise als Nachfolger Montis zum Regierungschef gewählt werden.
Im Wahlkampf sparte Monti nicht mit Attacken gegen seinen Vorgänger Berlusconi. Dieser habe das Land an den Rande des Kollapses gedrängt und wage es wieder, um die Gunst der Wählerschaft zu buhlen. Unermüdlich appellierten Monti und Bersani, für verantwortungsbewusste Parteien zu wählen, die Italiens Ansehen im Ausland konsolidieren könnten.
Ob ihnen die Italiener ihr Ohr schenken werden, ist noch ungewiss. Verlockend klingen die saftigen Wahlversprechen Berlusconis, der den Italienern die Rückzahlung der von Monti im Bemühen um die Sanierung der Staatsfinanzen eingeführten Immobiliensteuer in Aussicht stellte. Umsetzen will er das im Falle eines Wahlsiegs als Wirtschaftsminister. Und einen Finanzierungsplan für das milliardenschwere Projekt liefert er gleich mit: Er wolle die Steuern für Tabak und Glücksspiele erhöhen, die Staatsausgaben senken und über ein Steuerabkommen mit der Schweiz mehrere Milliarden eintreiben.
Unregierbarkeit droht
Trotz des herben Wahlkampfes wächst unter den Traditionsparteien die Sorge, dass Italien in die Unregierbarkeit schlittern könnte, sollte der Urnengang keine regierungsfähige Mehrheit erbringen. Dieses Szenario würde Italien in einen Zustand wie Griechenland im Vorjahr stürzen, als innerhalb von sechs Wochen zwei Mal Parlamentswahlen stattfinden mussten, da nach dem ersten Urnengang keine Regierungsbildung möglich war. Sollte sich Bersanis Bündnis zu einer Zusammenarbeit mit Monti entschließen und in der Abgeordnetenkammer die Mehrheit erringen, wäre diese im Senat jedoch keineswegs garantiert.
Nach italienischem Wahlrecht steht dem Wahlsieger, unabhängig von den erreichten Prozenten, die absolute Mehrheit der Sitze in der Abgeordnetenkammer zu. Die Mitglieder des Senats werden jedoch regional gewählt. Je mehr Einwohner eine Region hat, desto mehr Senatoren schickt sie nach Rom. Bersanis Mitte-links-Allianz droht die Mehrheit im Senat zu verlieren, wenn Berlusconis Lager neben der Lombardei nun auch im Veneto und in Sizilien die Führung übernehmen würde, wie es der angesehene Meinungsforschungsexperte Renato Mannheimer für durchaus möglich hält. Schon beim Verlust der Lombardei und einer anderen dieser drei stark bevölkerten Regionen würde Bersanis Koalition keine Mehrheit im Senat mehr erhalten. Dieser ist mit dem Abgeordnetenhaus völlig gleichberechtigt, der neuen Regierung ebenfalls das Vertrauen auszusprechen.
Komiker Grillo wirbelt Italiens Politik auf
Italiens künftige politische Verhältnisse hängen zum Teil auch davon ab, wie die Protestbewegung „Fünf Sterne“ um den Starkomiker Beppe Grillo abschneiden wird. Laut einigen Umfragen könnte die antieuropäische und populistische Gruppierung sogar zur zweitstärksten Einzelpartei im italienischen Parlament avancieren. Schon bei den Regionalwahlen auf Sizilien im Oktober war Grillos Gruppierung auf Platz zwei aufgerückt. Grillo ist fest davon überzeugt , dass keine der großen Koalitionen eine klare Mehrheit im Parlament erhalten wird, was zu starker politischer Instabilität führen wird. Die Aussicht, dass es schon im Herbst wieder zu Neuwahlen kommen könne, findet der demagogische Komiker und Blogger nicht unrealistisch.
Inzwischen bleibt die Zahl der unentschiedenen Wähler für italienische Verhältnisse unerwartet hoch, was die Verunsicherung der Bürger in dieser turbulenten politischen und wirtschaftlichen Phase widerspiegelt. Die unentschlossenen Wähler könnten sich für den Ausgang der Parlamentswahlen als entscheidend erweisen. Die Zahl der Unentschiedenen und derjenigen, die sich nicht am Urnengang beteiligen wollen, dürfte laut Umfragen circa 22 Prozent betragen.
Die Bündnisse und Parteien im italienischen Wahlkampf
- Das Mitte-Links-Bündnis um den Spitzenkandidaten Pier Luigi Bersani liegt den letzten Umfragen zufolge vorn. Stärkste Kraft ist die Partito Democratico (PD), die demokratische Partei, deren Vorsitzender Bersani ist. Dazu kommt Bersanis linker Bündnispartner, die Sinistra ecologia e libertà (Linke Ökologie und Freiheit) mit ihrem Chef Nichi Vendola. Außerdem unterstützt noch eine Reihe kleinerer Parteien das Bündnis.
- Der Zentrumsblock des scheidenden Ministerpräsidenten Mario Monti ist nach den letzten Umfragen an die vierte Stelle abgerutscht. Das Bündnis der Mitte um den Wirtschaftsprofessor besteht aus Montis Scelta Civica - Con Monti per l‘Italia (Bürgerliche Wahl - Mit Monti für Italien) und der Unione di Centro (Zentrumsunion) des Pier Ferdinando Casini. Dazu kommen einige kleinere Parteien der Mitte. Auf den bisherigen Regierungschef setzen Brüssel und die Märkte.
- Das Mitte-Rechts-Bündnis wird angeführt von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und seiner Partei Popolo della Libertà (PdL, Volk der Freiheit). Dazu kommt die insbesondere in Norditalien stark vertretene Lega Nord mit ihrem Chef Roberto Maroni. Das konservative Lager Berlusconis holte den Umfragen zufolge gegenüber der Linken deutlich auf. Auch das Mitte-Rechts-Bündnis wird von mehreren kleineren Parteien unterstützt.
- Die populistische Internet-Protestbewegung „Movimento 5 Stelle“ (Bewegung fünf Sterne) des Komikers und Internetaktivisten Beppe Grillo hat in den vergangenen Wochen kräftig aufgeholt. Sie kam zuletzt auf bis zu 18 Prozent der Stimmen und könnte damit als drittstärkste Kraft ins Parlament einziehen. Grillo wettert vor allem gegen die traditionellen Parteien und fordert Italiens Euro-Austritt. (TT.com, APA, dpa)