Film und TV

Symbole der Freiheit nach dem Tod

In seiner Kinoadaption des Broadway-Musicals „Les Misérables – Die Elenden“ erzählt Tom Hooper von der Leidenschaft und den schmerzhaften Kämpfen für ein besseres Leben in Zeiten der Unterdrückung.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Ein Interesse der Autoren der Aufklärung galt der Neubewertung körperlicher Arbeit, die von dressierten Tieren verrichtet zu werden schien. Dabei wurde noch nicht an eine Befreiung von Arbeit gedacht, aber immerhin an so etwas wie Würde, die schließlich zu einer Kultivierung der Arbeiter beitragen könnte. Allerdings sollte die Abkehr von der Wildheit nicht zu weit gehen, da ein entstehendes Klassenbewusstsein schnell zu einer Gefahr für Herrschaft und Obrigkeit wird. Diesen Prozess vom wilden Tier zum vernunftgeleiteten Wesen – und wieder zurück – konnte kein Autor so eindringlich und zugleich unerträglich beschreiben wie Victor Hugo in seinem monumentalen Roman „Les Misérables“ – „Die Elenden“. 1862 erschien der Roman, nach etwa zwei Dutzend Kinoversionen eroberten „Les Misérables“ 1985 in der Ära von Ronald Reagan, Marktderegulierung und Abwertung, von Arbeit singend, den Broadway. 15 Jahre schrieb Hugo im englischen Exil an seinem Roman über Jean Valjean, der wegen des Diebstahls von einem Laib Brot zu 19 Jahren Haft verurteilt wird und dem anschließend 20 Jahre bleiben, ein guter Mensch zu werden. 20 Jahre dauerten auch die Vorbereitungen, den Broadway-Hit auf die Leinwand zu bringen.

Bereits im ersten Bild ist zu sehen, dass der Regisseur Tom Hooper auf Überwältigung setzt. Tausende (computergenerierte) Zwangsarbeiter ziehen ein gekentertes Schlachtschiff in die Werft. Mit einer letzten Demonstration seiner Körperkraft wird Valjean (Hugh Jackman) 1815 mit strengen Auflagen von Inspektor Javert (Russell Crowe) in die Freiheit entlassen. Javert, der wie Valjean aus dem Lumpenproletariat stammt, ist ein Anhänger der „Dressur des Menschen“, der sonst nur dem Bösen folgen würde. Durch die Güte und das Startkapital eines Bischofs (Colm Wilkinson, Valjean in der Broadway-Version) steigt Valjean als Monsieur Madeleine 1823 zum Fabrikanten und Bürgermeister von Montreuil auf. Fantine (Anne Hathaway), eine seiner Arbeiterinnen, muss mit ihrem Lohn das Kostgeld für ihre in Paris bei der Familie Thénardier untergebrachte Tochter Cosette bezahlen. Als sie ihre Arbeit verliert, kann sie noch Haare, Zähne und zuletzt ihren Körper verkaufen, bevor sie stirbt. Anne Hathaway bleiben gerade einmal fünf Minuten, um den unglaublichsten und herzzerreißendsten Kino­auftritt der letzten Jahre zu bieten. Während sie „life has killed the dream I dreamed“ singt, ist auf ihrem Gesicht die komplette Geschichte des Elends, des Hungers und der Unterdrückung zu sehen, wofür Hugo in seinem Roman 100 Seiten benötigt hat. Allein diese einzigartige Szene lohnt den Kinoabend – auch für Skeptiker des Musicalgenres.

Tom Hooper, der mit der Sprachschule „The King‘s Speech“ berühmt geworden ist, bändigt in 156 Minuten mit seinem hyperrealistischen Inszenierungsstil etwa 50 Songs, die dem Erzählfluss entgegenstehen. Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen spielen die Thénardiers als bösartige Profiteure des Elends. Mit ihrer Komik durchbrechen sie auf angenehme Weise den Pathos der Tragödie, als hätte Tim Burton ihre Auftritte inszeniert. Wenn die Studenten 1832 in Paris die Barrikaden errichten, um die Knechtschaft abzuwerfen, treffen auch Javert und Valjean wieder aufeinander. Cosett­e ist jetzt Amanda Seyfried, doch es ist der 12-jährige Daniel Huttlestone, der als Gavroche allen die Show stiehlt. Die roten Fahnen, die Symbole der Freiheit, werden erst nach dem Tod geschwenkt. Das schöne Lied der Solidarität kommt zu spät.

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