Literatur

„Ich habe keine Lust, mein Leben lang zu schreiben“

15.000 Briefe hat Samuel Beckett in seinem Leben geschrieben. Jetzt ist Band eins einer groß angelegten Edition erschienen. Ein Mammutprojekt.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Samuel Beckett mied die Öffentlichkeit, selbst als ihm 1969 der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde, verzichtete er dankend auf einen Auftritt in Stockholm. Interviews gab er nur engen Freunden und selbst dann gab er sich verschlossen und wortkarg. Gerade weil Beckett seinen Ruf als „Dichter des Verstummens“ auch abseits seiner gefeierten Stücke und Romane beständig kultivierte, erscheint es unwirklich, dass der große Schweiger 15.000 Briefe geschrieben hat. Briefe, in denen er unverhofft offen Auskunft gibt über seinen Gemütszustand, körperliche Beschwerden und amouröse Misserfolge und sich als ebenso feinsinniger wie spöttischer Beobachter des Zeitgeschehens erweist.

Noch zu Lebzeiten stimmte Beckett einer Veröffentlichung seiner Briefe zu, erbat sich allerdings zwei Einschränkungen: Die Edition dürfe erst nach seinem Tod erscheinen und nur solche Briefe enthalten, „die für mein Schaffen von Belang sind“. Gerade der zweite Teil der Bedingung dürfte den Herausgebern, Beckett-Weggefährtin Martha Dow Fehsenfeld, Lois More Overbeck, George Craig und Dan Gunn zu schaffen gemacht haben – auch weil Becketts Erben ein Mitspracherecht zugestanden wurde. Letztlich wählten sie aus dem mehrere Regalmeter füllenden Konvolut rund 2500 Briefe aus, die vollständig veröffentlicht werden sollten und 5000 weitere, die in Auszügen zitiert und für den Anmerkungsapparat herangezogen wurden. Jetzt ist Band eins der auf vier Bände angelegten Edition auch auf Deutsch erschienen. Im Mittelpunkt stehen Briefe, die Beckett zwischen 1929 und 1940 geschrieben hat, in einer Zeit also, in der alles danach aussah, als würde der Absolvent des Dubliner Trinity College eine akademische Laufbahn einschlagen. In Paris, wo er sich nach längerem Hin und Her 1937 endgültig niederließ, unterrichtete er – und war tief unglücklich. Der Job erfüllte ihn nicht, seine Versuche, in der literarischen Szene Fuß zu fassen, scheiterten (sein Roman „Murphy“ wurde von stolzen 42 Verlagen abgelehnt) und aus dem heimatlichen Irland erreichten ihn manchmal offen, dann wieder im Kleid wohlmeinender Vorschläge, nur Vorwürfe.

Schon Mitte der Dreißigerjahre spielt Beckett ernsthaft mit dem Gedanken, seinen Flirt mit der Literatur zu beenden. Er wollte das Filmemachen erlernen und bewarb sich (erfolglos) bei Sergej Eisenstein in Moskau – und träumte insgeheim von einer Karriere als Pilot. „Ich glaube, die nächste Verlockung ist das Fliegen“, schreibt er im Juli 1936 an seinen engsten Freund Thomas McGreevy, einen irischen Kunst- und Literaturkritiker, und hofft, dass er nicht zu alt sei, „um es ernsthaft zu betreiben, oder zu dumm für die Maschinen, um mich als kommerzieller Pilot zu qualifizieren. Ich habe keine Lust, für den Reist meines Lebens Bücher zu schreiben, die keiner liest. Es ist ja nicht so, dass ich sie unbedingt schreiben will.“

Dann wurde „Murphy“ 1938 doch noch gedruckt und der langsame Aufstieg des späteren Meisters des Absurden Theaters begann. Der Rest ist Literaturgeschichte.

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