Reise

Drahtseilakt in Afrikas Bergen

Wie Tarzan – nur mit Drahtseil: Den Südafrikanern sind die Drakensberge längst als Wanderziel ans Herz gewachsen. Doch die Schluchten und Urwälder des höchsten Gebirges im südlichen Afrika lassen sich auch schneller und mit mehr Adrenalin erkunden: freischwebend an einem robusten Stahlseil.

Ein sonderlich sarkastischer Mensch ist Thandanani Justice Mabaso eigentlich nicht. Unter dem Schirm seiner grauen Baseballmütze und dem postgelben Helm mit seinen Initialen TJ versteckt sich das fröhliche Grinsen eines Hobby-Entertainers. Mabaso arbeitet als Guide für Canopy-Touren, freischwebende Seilfahrten zwischen Baumriesen und Felsvorsprüngen in den südafrikanischen Drakensbergen. Und die Tatsache, dass seine Führung an einem Grab beginnt, ist wohl eher dessen lokalhistorischer Bedeutung zuzuschreiben.

Makaber ist die Geschichte dennoch. Denn jener Dick Barry, der hier vor der mächtigen Kulisse Südafrikas höchster Bergkette beerdigt wurde, war ein Kletterpionier. 1938 stürzte er im Alter von 22 Jahren bei der Besteigung einer dieser Dreitausender in die Tiefe. Von seiner letzten Ruhestätte geht es für abenteuerlustige Urlauber heute direkt hinab zum Drahtseilakt in die Blue-Grotto-Schlucht.

Es wird schlagartig dunkler, nur vereinzelte Sonnenstrahlen finden den Weg durch das dichte Dach des Urwaldes. Schlanke, schier unendlich lange Baumriesen strecken sich dem Himmel entgegen, ihre Stämme sind umschlungen von einem Netz aus Rankpflanzen und Lianen. Der Ort scheint ideal für die Tarzane der Neuzeit. Doch Mabaso und sein Assistent Andries Mazibuko verlassen sich ausschließlich auf Stahl und Nylon.

Festgezurrt in einen Sitzgurt, der mit drei Schlaufen und zwei Hosenträgern beide Oberschenkel, Hüfte und Schultern umfasst, hängen sie ihre Kundschaft in schwere Karabinerhaken an drei dicken Kletterseilen ein. Für einen nicht ganz schwindelfreien Menschen kostet es reichlich Überwindung, sein Leben in ein über Schluchten gespanntes Stahlseil zu hängen. Doch viel Zeit zum Nachdenken lässt TJ nicht.

Eine Hand umklammert das immer dünner wirkende Nylon, die andere liegt, geschützt von einem dicken Arbeitshandschuh, als Bremse auf dem gespannten Drahtseil. Mit einem langgezogenen „Zzzzzt“ der Führungsrollen, die den Passagier wie auf Schienen durch das Baumlabyrinth rutschen lassen, verfliegt schließlich ein Großteil der Höhenangst. Die erste Station ist eine Holzplattform rund um den Stamm eines Urwaldriesen, vielleicht zehn Meter über dem Erdboden.

Ganz dicht an den ausladenden Ästen der Baumkronen vorbei geht es dann auf der zweiten Rutschfahrt hinaus in die offene Schlucht. Das Licht ist zurück, am strahlend blauen Himmel ziehen ein paar zerfledderte Schäfchenwolken entlang, doch hier im Tal ist es windstill. Nur unterbrochen von den Jubelschreien, die den Übergang von Schwindel zu einem Gefühl kurzer, völliger Freiheit ausdrücken, macht die Natur die Musik in der Schlucht – ein paar im Blättergewirr versteckte Vögel und das leise Grummeln und Rauschen des Nkwankwa-Flusses. Die rund 1000 Kilometer lange Kette der Drakensberge, die sich vom Nordosten Südafrikas nahe des Krüger Nationalparks bis hinunter in die östliche Kapprovinz erstrecken, steigt hier in ihrem Zentrum mit dem Champagne-Castle zum zweithöchsten Gipfel des Landes auf. Seinen Namen hat der übrigens von den beiden europäischen Erstbesteigern, die ihren Gipfelsturm mit einer Flasche Sekt feiern wollten – bis der Bergführer den guten Tropfen fallen ließ.

Ähnliche Missgeschicke sind von TJ nicht zu erwarten. Auch auf den Plattformen achtet er darauf, dass seine Gäste stets per Seil gesichert sind. Abgestürzt ist bei den Seiltouren, deren Konzept einst an der Baumkronenzone costa-ricanischer Regenwälder interessierte Biologen erfanden, noch niemand.

Von einem Unglücksfall berichtet der Guide kurz vor Ende der zweieinhalbstündigen Tour dann aber doch noch. Die Geschichte handelt von Degma, einem unglücklichen Kollegen, der am Streckenbau der Route beteiligt war. Um die Stahlseile über die Schlucht zu spannen, schossen die Konstrukteure zunächst mit dünnen Schnüren verknüpfte Pfeile von Hang zu Hang, deren Suche sich anschließend im dichten Gestrüpp nicht immer leicht gestaltete.

„Degma war irgendwann langweilig, er hat rumgespielt und an einer kleinen, weißen Blume gerochen“, erzählt Mabaso. Die Pflanze, die er Snow White – also Schneewittchen – nennt, ist ein Baumparasit, der in der Lage sei, Menschen zu benebeln. Degma jedenfalls schlief ein, „so fest, dass sie ihn auch per Funk nicht mehr erreichen konnten“. Als sie ihn endlich fanden, warf der Boss den Schlafenden umgehend raus. Mitarbeiterführung in Südafrika kann rau sein und der schwarze Humor eben doch manchmal etwas zynisch. Die am Ort von Degmas Unglück errichtete Plattform jedenfalls heißt bei den anderen Guides seitdem „catch a doze“ – nimm ein Nickerchen.

Klima und Reisezeit: Die Touren werden das ganze Jahr über angeboten, besonders angenehm ist jedoch der südafrikanische Sommer von November bis April. In den Wintermonaten von Mai bis September kann es gerade in den Gebirgslagen empfindlich kalt werden, bei Eis und Schnee gibt es keine Touren.

Touren: Gänzlich schwindelfrei und durchtrainiert müssen die Teilnehmer der Touren nicht sein, die Veranstalter geben jedoch ein Gewichtslimit von 120 Kilogramm und eine Altersempfehlung von sieben bis 70 Jahren vor. Die Tour kostet 450 südafrikanische Rand pro Person (rund 39 Euro).

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