Erstmals weniger getötete Zivilisten: Mehr Regierungsmitarbeiter getötet
Seit 2007 zählen die Vereinten Nationen die zivilen Opfer des Krieges in Afghanistan. Nie kamen seitdem so wenige Zivilisten zu Schaden wie im vergangenen Jahr. Die schlechte Nachricht: Die Taliban töten gezielt immer mehr Mitarbeiter der afghanischen Regierung.
Kabul/Brüssel - Die Zahl der Opfer bei gezielten Taliban-Angriffen auf zivile Mitarbeiter der afghanischen Regierung hat sich nach UN-Angaben fast verachtfacht. Nach 34 getöteten und verletzten Regierungsmitarbeitern im Jahr 2011 seien im vergangenen Jahr 255 solche Opfer verzeichnet worden, teilte die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) am Dienstag in Kabul mit. UNAMA sprach von einem „atemberaubenden“ Zuwachs. Der UN-Sondergesandte Jan Kubis nannte die Zahlen „extrem besorgniserregend“.
Um 20 Prozent zugenommen habe im vergangenen Jahr auch die Zahl der getöteten und verletzten Frauen und Mädchen, hieß es im Jahresbericht 2012 von UNAMA zu zivilen Opfern im Konflikt in Afghanistan. 301 Frauen und Mädchen seien getötet, 563 verletzt worden. Die meisten davon seien bei Alltagstätigkeiten zum Opfer von Gewalt geworden.
Zwölf Prozent weniger Todesopfer
Insgesamt ist die Zahl der zivilen Opfer im Afghanistan-Krieg nach UN-Angaben allerdings erstmals seit Beginn der Erhebung im Jahr 2007 zurückgegangen. 2754 Zivilisten seien im vergangenen Jahr getötet worden, zwölf Prozent weniger als im Vorjahr, teilte UNAMA mit. Die Zahl der Verletzten habe „marginal“ auf 4.805 zugenommen. Seit Beginn der Erhebung 2007 kostete die anhaltende Gewalt in Afghanistan nach UN-Angaben 14.728 Zivilisten das Leben.
Im vergangenen Jahr seien Aufständische für 81 Prozent der getöteten und verletzten Zivilisten verantwortlich gewesen, NATO-geführte Truppen und afghanische Sicherheitskräfte für acht Prozent, teilte UNAMA mit. Die verbliebenen elf Prozent hätten keiner Konfliktpartei zugeordnet werden können.
NATO-geführte Truppen und afghanische Sicherheitskräfte hätten 2012 im Vergleich zum Vorjahr 46 Prozent weniger zivile Opfer verursacht, berichtete UNAMA. Bei Anschlägen und Angriffen Aufständischer seien dagegen neun Prozent mehr Unbeteiligte getötet oder verletzt worden als 2011.
Zahl der Anschläge auf afghanische Regierungsangestellte gestiegen
Die UN führten den Rückgang der getöteten und verletzten Zivilisten insgesamt auf weniger Opfer im Kreuzfeuer bei Gefechten und weniger Selbstmordanschläge zurück. Auch eine Abnahme von Luftangriffen „und andere Maßnahmen von regierungstreuen Truppen, um den Schaden für Zivilisten zu minimieren“, habe dazu beigetragen.
Die Zahl der Anschläge auf afghanische Regierungsangestellte stieg den Angaben zu Folge im vergangenen Jahr um 700 Prozent im Vergleich zu 2011. In ihrem Bericht bezeichnete es die UN-Mission als „besonders Besorgnis erregend“, dass die von Taliban angeführten Aufständischen es gezielt auf weibliche Behördenmitarbeiter abgesehen hätten. Dies zeige sich beispielsweise in der Tötung der Leiterin der Frauenbehörde der Provinz Laghman im vergangenen Dezember und deren stellvertretender Leiterin im Juli.
Die UN teilten am Dienstag weiter mit, im vergangenen Jahr sei die Bedrohung für Zivilisten durch bewaffnete Gruppen wie Milizen gewachsen. Das gelte besonders für den Norden und Nordosten Afghanistans.
Der Rückgang der insgesamt getöteten Zivilisten im vergangenen Jahr sei „sehr begrüßenswert“, teilte Kubis mit. „Dennoch bleiben die Kosten an Menschenleben in dem Konflikt nicht hinnehmbar.“
Der afghanische Präsident Hamid Karzai erließ am Montagabend ein Dekret, das afghanischen Sicherheitskräften untersagt, NATO-Luftunterstützung anzufordern. Vorausgegangen war ein Luftschlag, bei dem nach Karzais Angaben bei einem Bombardement in der vergangenen Woche 14 Zivilisten getötet worden waren.
Die USA und ihre NATO-Verbündeten haben derzeit etwa 100.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Kampftruppen sollen bis Ende 2014 weitgehend abgezogen und nach und nach durch afghanische Kräfte ersetzt werden. (APA/dpa/AFP)