Warten auf den Friedensfahrplan in der Kurdenfrage
Die Türkei wartet auf ein Signal von PKK-Chef Abdullah Öcalan. Er könnte eine Waffenruhe ankündigen.
Von Thomas Seibert für AFP
Istanbul – Das Wetter ist gut, das Boot ist neu, und die ganze Türkei wartet auf eine Schiffstour der besonderen Art: In den kommenden Tagen wollen führende Kurdenpolitiker der Türkei vom Südufer des Marmara-Meeres aus zur Gefängnisinsel Imrali übersetzen, um mit PKK-Chef Abdullah Öcalan zu reden. Von dem Besuch erhofft sich die Türkei ein Signal dafür, dass sich im Kurdenkonflikt endlich ein friedliches Ende abzeichnet. Öcalan verhandelt schließlich seit Monaten mit Vertretern Ankaras über dieses Ziel. Der Optimismus wächst - doch in der Vergangenheit waren alle Friedensbemühungen gescheitert.
Zum ersten Mal seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes der von ihm gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Jahr 1984 wird Öcalan vom türkischen Staat offiziell als Gesprächspartner anerkannt. Im Dezember begannen Vertreter des türkischen Geheimdienstes MIT auf Imrali die Verhandlungen mit Öcalan.
Bisher ist nichts Konkretes über den Inhalt und Verlauf der Gespräche nach außen gedrungen. Der Besuch der Kurdenpolitiker auf Imrali diese Woche soll das ändern. Der amtierende PKK-Anführer Murat Karayilan erklärte vom Hauptquartier der Rebellen im Nordirak aus, er erwarte einen „neuen Fahrplan“ von dem inhaftierten Vorsitzenden. Die Behörden beschafften extra das neue Boot für Besuche auf Imrali.
In der türkischen Presse ist von einem möglichen Aufruf Öcalans zu einer Waffenruhe die Rede, doch Karayilan machte deutlich, dass sich die PKK nicht ohne weiteres dazu bereiterklären dürfte. Mit einigen Gesprächen allein werde sich die Kurdenfrage nicht lösen lassen, erklärte Karayilan.
Skepsis ist also angebracht. Schon vor einigen Jahren hatten die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und die PKK versucht, sich bei Friedensverhandlungen anzunähern. Damals trafen sich die Unterhändler beider Seiten in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Trotz einer vorsichtigen Annäherung wurden die Verhandlungen im Jahr 2011 ergebnislos abgebrochen. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld dafür.
Die Geschichte der gescheiterten Friedensversuche im Kurdenkonflikt reicht weit zurück. Anfang der 1990er Jahre soll der damalige türkische Staatspräsident Turgut Özal ebenfalls Verhandlungen mit der PKK vorbereitet haben - Özals plötzlicher Tod machte damals die Friedenshoffnungen zunichte. Die Familie des Ex-Präsidenten glaubt bis heute, Özal sei damals einem Mordkomplott zum Opfer gefallen, doch eine Untersuchung der sterblichen Überreste des früheren Staatsschefs erbrachte keine eindeutigen Beweise dafür.
Damals wie heute ist die Grundfrage ungeklärt, welche Rechte die rund zwölf Millionen Kurden in der Türkei erhalten sollen. Die PKK hat ihr ursprüngliches Ziel eines eigenen Kurdenstaates aufgegeben und verlangt eine offizielle Anerkennung der Volksgruppe durch den türkischen Staat. Wie das genau aussehen könnte, ist Gegenstand der Verhandlungen auf Imrali.
Alle Seiten seien voller Hoffnung, sagte der für die Kurdenfrage verantwortliche Vize-Regierungschef Besir Atalay. Das gelte auch für Öcalan. Der Wind des Friedens wehe so stark, dass sich ihm niemand in den Weg stellen könne. Als Zeichen des guten Willens der Behörden galt auch die Entscheidung der Justiz vom Dienstag, zehn kurdische Untersuchungshäftlinge, darunter mehrere kurdische Bürgermeister, auf freien Fuß zu setzen. Die Freilassung von mehreren hundert weiteren Beschuldigten ist eine der Haupterwartungen der PKK an den Friedensprozess.
Der wichtigste Grund für Optimismus könnte aber in einer Umfrage liegen, über die türkische Medien am Dienstag berichteten. Da in der Türkei in den kommenden zwei Jahren Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstehen, ist die Meinung der Wähler über die Verhandlungen mit der PKK für die Regierung von entscheidender Bedeutung. Und in dieser Frage kann Erdogan offenbar beruhigt sein: In der Umfrage unterstützten fast 70 Prozent der Wähler den Kurden-Kurs des Regierungschefs. (APA)