Zur rechten Zeit: Doku über Michael Haneke kommt ins Kino

Yves Montmayeur lässt die Karriere des österreichischen Regiestars Revue passieren, zeigt ihn bei der Arbeit und lässt ihn und seine Darsteller zu Wort kommen.

Von Wolfgang Huber-Lang

Wien - „Ich habe immer versucht, die Zuschauer ernst zu nehmen. Wenn man jemanden ernst nimmt, kann man ihm auch unangenehme Dinge sagen.“ Wenn Michael Haneke derlei erklärt, wechselt seine Miene immer wieder zwischen großer Ernsthaftigkeit und gewinnendem Lächeln. Man habe ihm gesagt, mit Haneke zu drehen sei ein Vergnügen, erzählt Jean-Louis Trintignant. Tatsächlich möge der Regisseur die Menschen und lache viel am Set. „Aber den Spaß hat nur er.“ Alle anderen seien hoch konzentriert beim Versuch, den hohen Anforderungen des Regisseurs zu entsprechen. „Man sollte bei ihm keinen Blödsinn machen!“ - Rechtzeitig vor der Oscar-Verleihung beschäftigt sich ein Dokumentarfilm ausführlich mit Arbeitsweise und Philosophie des österreichischen Meisterregisseurs.

„Ich sehe mich als Handwerker“, sagt Haneke gleich zu Beginn in einem der zahlreichen Interview-Ausschnitte, und „MICHAEL H. profession: director“ hat Yves Montmayeur auch seine 90-minütige Doku genannt, die ab Freitag im Wiener Votivkino zu sehen ist. Der Franzose, der u.a. bereits Filmporträts des chinesischen Regisseurs Johnnie To, des Kameramanns Christopher Doyle oder der italienischen Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento gedreht hat, lässt Hanekes Karriere Revue passieren, hat ihn über die Jahre immer wieder zu seiner Arbeit befragt, lässt Schauspieler zu Wort kommen, ergänzt hoch interessante Dreh-Reportagen mit (zu vielen) Filmausschnitten und hat ihn im Stil von Home-Movies auch bei manchen Festivalauftritten begleitet.

Es ist, beginnend und endend bei „Amour“ (Liebe), eine Zeitreise zurück zu den wichtigsten Filmen Hanekes - über „Das weiße Band“ zu „Caché“ und „Wolfzeit“, von dort zu „Die Klavierspielerin“, „Code inconnu“, „Funny Games“, „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ und „Bennys Video“. Im Film wird Haneke also quasi immer jünger, wobei sich Farbe und Form des Bartes weniger ändern als die Brillenmode. Doch die Eloquenz, mit der Haneke sein Schaffen erklärt, ohne auf „autointerpretatorische“ Fragen einzugehen, ist ebenso beeindruckend wie die Konsequenz, mit der er seine Haltung über die Jahre verfolgt.

Dass er in jeder Sekunde weiß, was er macht, vermittelt er auch bei der Arbeit am Set. Diese Passagen, zu denen auch Ausschnitte aus seiner Schauspiel-Arbeit mit Studenten der Universität für Musik und Darstellende Kunst kommen, sind die spannendsten der Dokumentation. Sie zeigen einen begeisterten, besessenen Künstler, der ausschließlich seinen filmischen Visionen verpflichtet ist, und jeden ernst nimmt - solange er dieselben Ziele mit derselben Ernsthaftigkeit verfolgt. Schauspielgrößen von Riva bis Huppert, von Binoche bis Susanne Lothar unterstreichen diesen Eindruck in Statements: Haneke ist ein großer Motivator, der keinerlei Kompromisse duldet und jedem alles abverlangt, dem aber seine Schauspieler auch bedingungslos vertrauen dürfen. „Jeder Film von ihm ist radikal“, schwärmt Isabel Huppert. „Immer anders radikal.“

Gleich fünf Oscar-Chancen hat Michael Hanekes „Amour“ am kommenden Sonntag. Und wer die Dokumentation von Yves Montmayeur gesehen hat, weiß, dass sich der Regisseur, egal, wie der Galaabend ausgehen wird, nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen wird. Weil ihm die Arbeit wichtiger ist als jeder Preis. Und weil nach dem Film vor dem Film ist. (APA)