„Ein Bürojob wäre mir zu fad“
Marcel Peer entschied sich für eine Lehre und gegen Matura und Studium. Aus seiner Sicht zu Recht, denn 2012 gewann er die „Europameisterschaft der Spengler“.
Von Judith Sam
Steinach am Brenner –„15 Meter über dem Boden, bis zu 70 Grad Celsius, Wind und Wetter ausgesetzt“, so antwortet Marcel Peer auf die Frage, wie sein optimaler Arbeitsplatz aussieht. Nicht jeder dürfte seine Vorstellung teilen. „Anfangs gefiel es meiner Mama gar nicht. Sie fragte, warum ich Dachspengler werden wollte, statt in einem gemütlichen, sicheren Büro zu arbeiten“, erinnert sich der 21-jährige Steinacher. Natürlich sei es riskanter, den ganzen Tag auf dem Dach zu arbeiten. Diese Erfahrung musste auch Marcels Vater machen: „Er hat einen Spenglerbetrieb in Steinach am Brenner. Zweimal ist er schon vom Dach gefallen.“ Marcels Vater hatte Glück und zog sich „nur“ einen doppelten Bandscheibenvorfall zu.
Um den Betrieb seines Vaters übernehmen zu können, entschied sich Marcel gegen den Wunsch seiner Mutter, die Matura zu absolvieren, und begann die Spenglerlehre: „Ein Bürojob wäre mir zu fad.“ Im Nachhinein betrachtet scheint er die richtige Wahl getroffen zu haben. Denn wäre seine Begeisterung für den Beruf nicht nach wie vor so groß, wäre er vermutlich nicht zweifacher Spengler-Staats- und Europameister 2012 geworden.
„Bei den letzten EuroSkills in Spa, Belgien, hatte ich 20 Stunden Zeit, um eine Wand mit Blech zu verkleiden“, erinnert sich der große Bruder zweier Schwestern. Die EuroSkills sind eine Art Lehrlings-Europameisterschaft, bei der sich junge Facharbeiter und Lernende aus fast 50 Berufssparten messen. Nicht nur aufgrund des EuroSkills-Erfolgs bereut er es heute nicht, auf Matura und Studium verzichtet zu haben: „Für mich war das die optimale Lösung. Auf der Baustelle merke ich allerdings schon manchmal, dass man selbst als Facharbeiter von Büroangestellten bevormundend behandelt wird.“
Gerade in Bezug darauf begrüßt Marcel das 2008 in Tirol eingeführte Ausbildungsmodell „Lehre mit Matura“: „Das würde ich jedem ans Herz legen. Wer sich dafür entscheidet, hat binnen kurzer Zeit eine abgeschlossene Ausbildung und finanzielle Rücklagen in der Tasche.“ Und sollte der erlernte Job nicht gefallen, könne man daraufhin ein Studium beginnen. Das sei optimal, denn: „Wer kann mit 15 Jahren denn schon wissen, was er während der nächsten 50 Jahre arbeiten will?“
Marcel hingegen hat seinen Weg gefunden. Derzeit bereitet er sich auf die Meisterprüfung vor. „Und demnächst werde ich zu den WorldSkills – wo sich die weltweit besten Lehrlinge messen – fahren. Allerdings nicht als Kandidat, sondern als Bewerter“, grinst er vorfreudig. Anfangs hatte er geplant, dort sein Spenglerkönnen zum Besten zu geben. Doch der Bewerb findet in der Kategorie der Spengler seit Kurzem nicht mehr statt: „Das liegt daran, dass der asiatische Raum und Amerika nicht mehr daran teilnehmen – weil sie nie gewonnen haben“, erklärt Marcel nüchtern. Das Handwerk sei dort nämlich bei Weitem nicht so entwickelt und gefördert wie in Österreich. Doch auch in manchen europäischen Ländern sei die Situation ähnlich: „In Belgien habe ich internationale Kandidaten kennen gelernt. Ein Finne erklärte mir, dass dort jeder Lehrling ab dem ersten Tag auf dem Dach arbeiten kann – ohne Praxis oder theoretisches Wissen.“ Das wäre in Österreich undenkbar: „Hier darf ein Lehrling im ersten Jahr gar nicht aufs Dach.“
Mit spitzbübischem Grinsen ergänzt Marcel: „Was mich wundert, ist, dass es so wenig Frauen in meinem Beruf gibt.“ Er wisse nur von einer und die kenne er auch nur vom Hörensagen.