Im Italien der Märchenerzähler, Technokraten und Apparatschiks
Italien wählt ein neues Parlament. Silvio Berlusconi, Mario Monti, Pierluigi Bersani und Beppe Grillo lieferten sich einen harten Kampf.
Von Christian Jentsch
Rom –Nach einem Wahlkampf mit wenig Inhalten und viel populistischem und antieuropäischem Getöse sind rund 49 Millionen Italiener aufgerufen, heute und morgen ein neues Parlament zu bestimmen. 630 Abgeordnete und 315 Senatoren stehen zur Wahl. Berlusconis Mitte-rechts-Partei „Volk der Freiheit“ hatte mit ihrem Regierungsaustritt im Dezember das Kabinett von Mario Monti gestürzt und Neuwahlen heraufbeschworen.
Und Italien steht zumindest auf den ersten Blick vor einer Richtungswahl: Die Wähler müssen entscheiden, ob Italien dem rigorosen Sanierungskurs, den das hochverschuldete Krisenland in den vergangenen 14 Monaten unter der Regie von Wirtschaftsprofessor Mario Monti eingeschlagen hat, treu bleibt. Oder ob es von der drakonischen Sparpolitik des Technokraten-Kabinetts abweichen wird, wie dies die wiederauferstandene Galionsfigur der Mitte-rechts-Allianz, Silvio Berlusconi, verspricht. Berlusconi wirft Monti vor, mit seinen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen Italien in eine beispiellose Rezession gedrängt zu haben. Und: Berlusconis Attacken gegen Monti gehen immer wieder Hand in Hand mit gezielt eingesetzten Polemiken gegen Europa und vor allem Deutschland. Der frühere EU-Kommissar Monti stehe laut Berlusconi mit seiner Politik unter Kuratel der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die Italien an der kurzen Leine halten wolle. In der rigiden Sparpolitik sieht Berlusconi die Wurzel allen Übels. Wobei der alternde Milliardär und Medienzar verschweigt, dass der Spielraum für eine Richtungsänderung äußerst klein ist. Auch ein Berlusconi wird sich dem Druck der Finanzmärkte und den Vorgaben der Europäischen Zentralbank nicht widersetzen können. Der italienische Patient müsse seine Sparpolitik fortsetzen, um wieder gesunden zu können, heißt es nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Brüssel und Paris. Die einst so stolze europäische Industrienation sitzt auf einem Schuldenberg von über zwei Billionen Euro. Und die Staatsverschuldung liegt bei über 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Für Monti verzerrt sein Gegner Berlusconi die Wahrheit: „Berlusconi bestreitet, dass Italien unter seiner Führung an den Rande des Abgrunds gelangt ist“, erklärte er mehrfach.
Doch eines ist für den Südtiroler Politologen an der Universität Innsbruck, Günther Pallaver, im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung klar: Mit wirtschaftlichen Fakten gewinnt man in Italien keine Wahl. „Während Monti mahnt und vor einem Neuaufflammen der Krise warnt, lockt Berlusconi mit abstrusen Wahlversprechen. Viele Italiener glauben eben gerne an Märchen“, weiß Pallaver. Laut dem Politologen angelt Berlusconi in erster Linie im Teich der Protestwähler. Er punktet bei jenen, welche der wachsenden Steuerbelastung ein Ende setzen wollen. „Für Berlusconis Anhänger spielt der europäische Kontext dabei keine Rolle“, so Pallaver. Und mit seinem Deutschland-Bashing setzte Berlusconi laut Pallaver im Wahlkampf ganz bewusst auf vorhandene Ressentiments.
Doch Berlusconi hat auch ganz pragmatische Gründe, weiter in der Politik mitzumischen: „Er braucht den parlamentarischen Schutzschirm“, erklärt Pallaver. Schließlich steht er sowohl wegen Steuerbetrugs als auch im Ruby-Prozess wegen Amtsmissbrauchs und Sex mit einer Minderjährigen vor Gericht.
Berlusconi ist jedenfalls zurück. „Er hat seine im Niedergang befindliche Partei wieder zusammengeführt und bestimmt als Alleinherrscher ihre Geschicke“, weiß Pallaver. Und seine Rechnung scheint auch aufzugehen. Mit dem Versprechen, die von Monti eingeführte Immobiliensteuer wieder abschaffen und gar rückerstatten zu wollen sowie eine generelle Steueramnestie durchzusetzen, konnte er zuletzt das Rennen noch einmal spannend machen. Der lange Zeit klare Vorsprung der Mitte-links-Allianz rund um den Chef der Demokratischen Partei, Pierluigi Bersani, schmolz auf wenige Prozentpunkte zusammen. Er gilt vielen als farbloser Apparatschik, der bei Italiens Kommunisten Karriere machte.
Laut den letzten Meinungsumfragen, die 14 Tage vor der Wahl am 9. Februar veröffentlicht wurden, liegt die Mitte-links-Allianz mit rund 37 Prozent zwar weiter in Front. Doch auch Berlusconis Mitte-rechts-Block, dem neben seiner Partei „Volk der Freiheit“ auch die rechtspopulistische Föderalismus-Partei Lega Nord angehört, kann inzwischen mit bis zu 30 Prozent der Stimmen rechnen. Als drittstärkste Kraft buhlt der Zentrumsblock um Mario Monti um die Gunst der Wähler. In den letzten Umfragen kommt Monti, der Italien vor dem drohenden Kollaps retten konnte, aber nur auf knappe 13 Prozent der Stimmen.
Doch Berlusconi, Monti und Bersani droht Konkurrenz von dem neuen Helden der italienischen „Anti-Politik“. Der Kult-Satiriker und Erfolgsblogger Beppe Grillo mischt mit seiner populistischen „Fünf-Sterne Bewegung“ die italienische Politik auf. „Politiker, ihr müsst kapitulieren! Geht endlich, solange es noch möglich ist“, tönte der Populist auf seiner als „Tsunami-Tour“ bezeichneten Wahlkampf-Rundreise durch ganz Italien. Und auch Grillo bedient gekonnt antieuropäische Ressentiments.
In den letzten Tagen vor der Wahl wuchs vor allem im Mitte-rechts-Lager die Sorge vor der immer stärker werdenden Konkurrenz der „Grillinis“, die ganz ohne Parteiprogramm und Parteistrukturen auskommen. „Während der Aufwärtstrend für Berlusconi kurz vor der Wahl zu stagnieren begann, stiegen die Werte für Grillo“, erklärt Pallaver. Vor allem bei den Jugendlichen kann der Starkomiker auf große Unterstützung zählen. Von den unter 23-Jährigen will fast jeder Dritte ihn wählen. Laut jüngsten Umfragen könnte der Polterer hinter der Demokratischen Partei Bersanis gar zur zweitstärksten politischen Kraft avancieren. Bis zu 20 Prozent der Stimmen werden ihm vorausgesagt.
Kein Wunder, dass sich Berlusconi mittlerweile auf den Senkrechtstarter eingeschossen hat. „Mit Grillo wird eine Bande von Hitzköpfen ins Parlament einziehen, die es balkanisieren werden. Ihnen das Ruder des Landes anzuvertrauen, ist, als würde man einem dreijährigen Kind einen Computer überlassen“, erklärte Berlusconi. Aber auch Monti spart nicht mit Kritik an Grillo: „Den Wahlerfolg, den ich am meisten fürchte, ist jener Grillos“, erklärte er. Der Urnengang in Italien könnte freilich wieder keine klaren Mehrheiten bringen. So droht eine politische Pattsituation zwischen den beiden Parlamentskammern Abgeordnetenhaus und Senat. Im Abgeordnetenhaus garantiert das Wahlrecht dem Gewinner eine stabile Mehrheit. Das Wahlbündnis mit dem relativ höchsten Stimmanteil erhält automatisch 54 Prozent der 630 Sitze. Auch im Senat gilt ein Mehrheitsbonus, der dem Wahlbündnis mit einer relativen Mehrheit mindestens 55 Prozent der Sitze garantiert. Nur: Die Mitglieder des Senats werden regional gewählt – und da gibt es andere Mehrheiten. Die Mehrheitsverhältnisse im Senat dürften sich in der wirtschaftsstärksten und zugleich auch bevölkerungsreichsten Region Italiens, der Lombardei, entscheiden. Und da greift die Lega nach der Macht.