Après-Ski-Reportage

Einmal eintauchen in die drei Meere von St. Anton

Nicht nur Sölden hat mit dem Pro 7-Beitrag „We love Sölden“ einen Après-Ski-Skandal. Auch St. Anton wurde zu diesem Thema auf RTL abgehandelt. Ein Besuch am Arlberg.

Von Irene Rapp/Judith Sam

St. Anton –„Steht man beim Mooserwirt in St. Anton, kann man drei Meere sehen.“ Was einem der deutsche Skigast zuraunt, lässt kurz am geografischen Wissen zweifeln. Seine Erklärung folgt sofort: „In der Bar sieht man ein Menschenmeer, draußen das Lichtermeer von St. Anton und ist man zu betrunken, sieht man gar nichts mehr.“

Da hat er nicht Unrecht, in einigen Punkten zumindest. Im Mooserwirt mit tollem Blick auf St. Anton – einem der größten Après-Ski-Lokale der Alpen – lassen zu Spitzenzeiten viele hundert Menschen in und um die Gaststätte ihren Skitag ausklingen. Tausende Jägermeister/Red Bull-Drinks – genannt Flying Hirsch, das momentane In-Getränk – werden in der knapp viermonatigen Saison ohne Ruhetag an den Mann bzw. die Frau gebracht. An die 20.000 Biergläser gehen in derselben Zeit zu Bruch bzw. werden geklaut.

Eine organisatorische Höchstleistung für Geschäftsführer Werner Flunger und das 65-köpfige Team: „Wir leiten Bier und Spirituosen aus Fässern im Keller in die Bars. Was denken Sie, wie lange die Schlauchleitungen sind, die im Haus verlegt wurden?“, fragt er beim Rundgang durch den Keller. „200 Meter“, lautet die Antwort. Von wegen! 37 Kilometer ist richtig.

Da meldet sich der deutsche Gast wieder zu Wort, sichtlich angeheitert: „Gibst mir ein Busserl auf den Bierkrug?“ Zur Überraschung ist er 60 Minuten vor Sperrstunde um 20 Uhr allerdings einer der wenigen schwer betrunkenen Besucher. „Wir geben uns Mühe, dass die Leute Spaß haben, sich aber gleichzeitig anständig benehmen“, erzählt Flunger. Und er nennt, fast übertönt von der Musik, Details. „Oben ohne ist verboten. Es gibt keine Sangria-Eimer, aus denen mit Röhrchen getrunken wird. Auf den Tischen wird nicht getanzt.“

Einen wesentlichen Anteil an der Stimmung, weil man mit Musik Emotionen transportieren kann, trägt Gerhard Schmiderer. Seit 22 Jahren ist der Land­ecker DJ im Mooserwirt, zwischen der Ansage von Titeln hat er kurz Zeit fürs Gespräch. „Ich bin auch Entertainer“, betont er.

Einige Meter weiter wird von der Kehrseite der Medaille erzählt. „Natürlich brauchen wir den Après-Ski. Das gehört dazu. Aber einige von uns fragen sich, ob das der richtige Weg ist“, erzählt ein Hotelier, der sich nicht mit Namen in der Zeitung lesen will. Er berichtet von Lärmbelästigung, zerstörtem Zimmer-Inventar, Flitzern und Drogen. Ähnliches hört man aus einem Hotel mitten in der Fußgängerzone. „Der nächtliche Lärm auf der Straße ist akut. Wegen Beschwerden müssen wir ab und zu Gästen ein anderes Zimmer geben“, sagt Franz Tschol in seiner gemütlichen Hotel-Lounge. Seit Anfang der 1990er-Jahre leitet er das Vier-Stern-Hotel Schwarzer Adler, das schon seit 1885 im Besitz der Familie ist. „Es ist alles enthemmter geworden“, umschreibt er den Wandel, der sich durch die Gesellschaft gezogen hat. Und der sich auch beim Après-Ski bemerkbar mache. Sein Vorschlag: „Die Après-Ski-Lokale im Skigebiet sollten früher schließen.“

St. Anton: 675 Beherbergungsbetriebe, 10.900 Betten, im Winter 2011/2012 rund 1 Million Nächtigungen. Natürlich könne es da beim Après-Ski zu Problemen kommen, hört man. In den 80er-Jahren war es schlimmer: Da sorgten trinkwillige Schweden für Krawalle. Mit zahlreichen Maßnahmen wurde dieses Problem aus der Welt geschafft. Dreißig Jahre später versucht man mit anderen Mitteln, der Party-Lust Herr zu werden.

„Es gibt die Aktion, dass Lokalbesitzer keine Gäste mit Skischuhen einlassen. Oder, dass die Lokale um vier Uhr nachts schließen. Beides beruht auf freiwilliger Basis.“ St. Antons Bürgermeister Helmut Mall erzählt von einigen Mosaiksteinchen, die sich Gemeinde, Tourismusverband und Betriebe einfallen haben lassen. Auch dass neben einer Security Polizisten aus Dornbirn nachts für Ruhe und Sicherheit sorgen. Einmal soll im Gemeinderat sogar über eine berittene Streife diskutiert worden sein.

Und dennoch: So ausschweifend, wie das Thema Après-Ski in St. Anton unlängst in zwei RTL-Beiträgen gezeigt worden ist, sei es nicht. „Da wurde in die Klischee-Kiste gegriffen“, hört man. Und dass man im Ort keine Freude mit dieser Art der Darstellung des Wintertourismus gehabt habe. Gezeigt wurde u. a. eine junge Britin, die exzessiv feierte, obwohl sie laut eigenen Angaben am nächsten Tag fremde Kinder zu hüten habe. Rund 1500 Menschen aus vielen Ländern finden im Winter in St. Anton Arbeit im Tourismus. „Da kann schon der eine oder andere einmal über die Stränge schlagen“, ist Mall realistisch.