Film und TV

Der Matrose und der Mystiker

Paul Thomas Anderson entlarvt in „The Master“ den Gründungsmythos des Scientology-Kults und die Glücksversprechen als absurden Schwindel.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Den Anwendern der Dianetik wird bekanntlich ein „Löschen sämtlicher schädlicher Erfahrungen“ versprochen, während etwa Schauspieler oft von diesen Erfahrungen zehren. Tom Cruise, ein Protagonist der Scientologen, erzielte seine beste Leistung in Paul Thomas Andersons „Magnolia“ (1999), einem Film über die Abgründe in zwischenmenschlichen Beziehungen. In seinem neuen Film „The Master“ demontiert Paul Thomas Anderson den Scientology-Kult als absurden Schwindel – ohne Tom Cruise.

Der Matrose Freddie Quell kämpft im Pazifik für Freiheit und Demokratie, während er sich längst in einer dumpfen Monarchie verloren hat. Er ist mit seinen Mixgetränken ein Zeremonienmeister für König Alkohol, der den Untertanen Vergessen und kurze Glücksmomente schenkt, Ingredienzien wie Terpentin muss man natürlich vertragen. Daher landet Freddie nach der Kapitulation Japans zuerst einmal in einer psychiatrischen Anstalt der Armee, die dem traumatisierten Veteranen außer bizarren Rorschachtests nichts anbieten kann. Seine anschließenden Versuche in Zivilberufen wie Fotograf oder Erntehelfer scheitern an unkontrollierbaren Gewaltausbrüchen und Alkoholexzessen. Joaquin Phoenix spielt diesen getriebenen, selbstzerstörerischen Charakter mit gebrochenem Rückgrat und Muskelverzerrungen, die beim Betrachten dieser körperlichen und seelischen Entblößungen ein unangenehmes Gefühl des Voyeurismus erzeugen. Aber bevor die Grenze des Unerträglichen erreicht ist, flüchtet der Matrose auf die (geborgte) Yacht von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), der nicht nur Freddies­ Fusel zu schätzen weiß, sondern als Heiler Krebs bekämpfen, als Wissenschafter die Welt vor der atomaren Bedrohung retten und als Autor die Schmerzen der Menschen lindern kann. Aber der gerissene Magier Dodd, den alle an Bord ehrfurchtsvoll Master nennen, möchte Freddie nicht als Matrosen, sondern als Jünger in die Mannschaft aufnehmen.

Dafür müssen bei langen und schmerzhaften Sitzungen allerdings Prüfungen bestanden werden. Ohne mit der Wimper zu zucken, muss sich Freddie nicht nur an seine tragische Geschichte erinnern und diese erzählen, er muss sich auch von ihr befreien. Dazu gehören die Mutter in der Psychiatrie, der tote Vater und die sexuell besitzergreifende Tante und schließlich auch Ereignisse, die sich vor Milliarden von Jahren zugetragen haben.

Dodd ist natürlich der Scientology-Erfinder L. Ron Hubbard, der 1950 gerade dabei war, seine Anhänger um sich zu scharen, und dabei erst einmal auf reiche und prominente Gönner setzt. Laura Dern spielt die exzentrische Fanatikerin Helen Sullivan, die sich enttäuscht zurückzieht, als Dodd von der exklusiven Lehre abweicht, um mit seiner Sekte weltweit expandieren zu können. Freddie bildet den von Dodd augenzwinkernd geduldeten Ein-Mann-Schlägertrupp, der sich um Kritiker und Skeptiker kümmert. Für Feinheiten fehlt ihm jedes Gespür, denn Freddie kann schon ausrasten, wenn ein Anhänger den Meister als „größten Mystiker Amerikas“ lobt.

Paul Thomas Andersons „The Master“ ist über allem aber das Duell zweier Schauspielgiganten, die nur mit kleinen Gesten und einmal schreiend, dann wieder flüsternd bei ihren Sitzungen um ihre Seelen kämpfen. Dodd manipuliert in Lauerstellung, Freddie klammert sich an den letzten Rest von Selbstwertgefühl, das aufzugeben der Preis für ein geglücktes Leben ist. In Venedig teilten sich Phoenix und Hoffman im September noch den Darstellerpreis. Für den Oscar sind sie als Hauptdarsteller (Phoenix) und Nebendarsteller (Hoffman) nominiert.

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