Bühne

Ein „Faust“ fürs Auge

Enrique Gasa Valga steckt Mephisto in Ballettschuhe und Gretchen in die Gummizelle. Gut so: Bei der Uraufführung des Tanzstückes „Faust“ war das Publikum aus dem Häuschen.

Von Christiane Fasching

Innsbruck –Die Faust von Enrique Gasa Valga ist geballt, als er am Samstagabend die Bühne des Großen Hauses stürmt und laut johlend zu einem Luftsprung ansetzt – so sieht‘s also aus, wenn sich ein Spanier richtig freut und die Welt um sich vergisst. Das Klirren, das seinem Luftsprung folgt, bemerkt der Leiter der Innsbrucker Tanzcompany zunächst deshalb gar nicht – Gasa Valgas Armbanduhr liegt angeschlagen auf dem Boden. Aber egal, Zeit ist an diesem Abend nicht so wichtig, gefeiert wird ohnedies bis in die Puppen.

Kein Wunder: Die Uraufführung des Tanzstücks „Faust“, das von Gasa Valga inszeniert und choreographiert wurde, hat sich als voller Erfolg herausgestellt – das Publikum war am Ende nicht mehr auf den Sesseln zu halten, enthusiastisch geklatscht wurde aber schon während der knapp zweistündigen Aufführung, die vor ausverkauftem Haus über die Bühne ging. Dabei klingt die Idee durchaus tückisch – Faust, Mephisto und Gretchen sollen plötzlich tanzen. Ja, darf man Goethes Welttheater so etwas überhaupt antun? Gasa Valga war davon überzeugt und hat sich gemeinsam mit Katajun Peer-Diamond daran gemacht, das „Faust“-Libretto zu erarbeiten, um den Traditionsstoff mit neuen Ideen aufzuladen.

Schon der Start ist irre. Während die Zuschauer noch auf der Suche nach ihren Plätzen sind, geht‘s auf der Bühne schon zur Sache. Die in Zwangsjäckchen gewandeten Tänzer quietschen, greinen und kichern, ehe sie in die Ränge stürmen, um sich an verdutzten Besuchern zu reiben und ihnen die Handtasche zu stibitzen. Ja, sind die denn verrückt? Genauso ist‘s – die Tanzversion von „Faust“ ist nämlich in einer Nervenheilanstalt des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Bühnenbildner Helfried Lauckner hat hier tolle Arbeit geleistet. Wahnsinnig tolle, um genau zu sein. Auf und in den verschachtelten Räumen, die sich wie verrückt drehen, finden auch das quartett klangwerk und die Oboistin Julia Muntean Platz – unter der musikalischen Leitung von Pianist Paul Lugger sorgen sie für einen abwechslungsreichen Soundtrack, in dem Ohrwürmer von Joe Cocker, den Rolling Stones und The Doors genauso Platz finden wie Seelenschmeichler von Chopin und Schubert.

Auch tänzerisch wird in die Vollen gegriffen – mitreißende Mambo-Minuten hier, eine beschwingte Walzer-Seligkeit da, doch auch sinnliche Pas de deux und experimentelle Momente dürfen nicht fehlen. Gasa Valgas „Faust“, in den zudem Videosequenzen eingeflochten sind, präsentiert sich als stimmiges Gesamtkunstwerk (Kostüme: Eva Praxmarer), das sich in keine Schublade stecken lässt.

Ein „Faust“ fürs Auge ist die Inszenierung aber allemal. Roilán Ramos Hechavarria gibt einen teuflisch bösen Mephisto, der seine Diabolik überlegen auslebt und aus Spaß an der Freud sogar eine Nonne (Clara Sorzano Hernández) vernascht. Leoannis Pupo-Guillen überzeugt als wankelmütiger Faust, der Wollust mit Liebe verwechselt und statt in der Hexenküche im OP-Saal nach der ewigen Jugend sucht. Das biegsamste Gretchen, das die Welt je gesehen hat, gibt Mohana Rapin, die vor ihrer Tanzkarriere ihren Körper mit rhythmischer Sportgymnastik stählte. Am Ende steckt sie nicht im Kerker, sondern in der Gummizelle. Blöd bloß, dass Gasa Valga sie zuvor allzu plakativ als Rabenmutter abstempelt – und klischeehaft mit Zigarette und Bierchen in der Hand über die Bühne jagt.

Ins Fäustchen darf sich der Spanier trotzdem lachen, schließlich liebt das Tiroler Publikum seine Inszenierungen. Weil sie voller Leidenschaft stecken – und keiner so schön jubelt wie Gasa Valga.

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