Die vielen „wilden Hunde“ von Neustift
Ein Skirennen über 17 Kilometer und 2000 Höhenmeter, an welchem nur Männer aus Neustift teilnehmen: Beim 40. Kräulspitzstaffellauf am Samstag waren 87 Stubaier wilde Hunde.
Von Irene Rapp
Neustift –Freitagabend. Auf der Franz-Senn-Hütte oberhalb von Neustift herrscht die Ruhe vor dem Sturm, wird an den zahlreichen Tischen in Vergangenheit und Zukunft eingetaucht. Kalt soll es morgen Samstag werden, von minus 25 Grad ist die Rede. Doch besser eisige Temperaturen als keine Sicht, sind sich die Männer einig, die schon einiges erlebt haben.
Sie erzählen von vergangenen Rennen, von Siegen und Stürzen sowie Sprüchen, die von Jahr zu Jahr weitergetragen werden. Wie z. B.: „Der ist so hoch geflogen, dass er den Kirchturm im Tal gesehen hat.“ Oder: „Wer später bremst, ist länger schnell“, erzählt Patrick Pranger vom Organisationskomitee lachend.
Wahrscheinlich ließe sich ein Buch mit Geschichten rund um den Kräulspitzstaffellauf füllen. Denn der Bewerb ist einzigartig in Tirol. So führt das Skirennen von der Kräulscharte in den Stubaier Alpen (3069 m) bis in den Neustifter Ortsteil Milders. Die Uhr läuft, wenn die je drei Teilnehmer einer Staffel die 17 Kilometer und 2000 Höhenmeter im zum Teil hochalpinen Gelände mit alles anderem als pistenähnlichen Verhältnissen bewältigen. „Der erste Teilabschnitt ist der schnellste, da erreicht man 120 Stundenkilometer. Der zweite Abschnitt ist der schwierigste, der dritte der längste“, erzählt Werner Holzknecht, ebenfalls im Organisationskomitee. Das Wichtigste nicht zu vergessen: Teilnehmen dürfen nur Neustifter.
Freitagabend sitzt ein Großteil der diesjährigen Staffelläufer in der Franz-Senn-Hütte. Heuer haben sich besonders viele angemeldet – immerhin erlebt der Bewerb seine 40. Auflage. Auch Jürgen Ballay kann sich über einige persönliche Jubiläen freuen. „Das ist heuer mein 20. Lauf. Und vor zehn Jahren habe ich mit meiner Staffel gewonnen“, erzählt der 38-Jährige stolz.
Denn auch wenn viele vom olympischen Gedanken reden, die Vorbereitungen verraten Gegenteiliges. Wochenlang wird trainiert, „das Material ist nur das Beste“, erzählt Pranger davon, dass schon Hermann-Maier- sowie Didier-Cuche-Ski zum Einsatz gekommen seien. „Ich liebe den Wettkampf“, bestätigt Hans Kindl, mit 57 Jahren einer der ältesten Teilnehmer des 40. Kräulspitzstaffellaufs. So an die 22- oder 23-mal hat der einstige Abfahrts-Weltcup-Rennläufer bereits teilgenommen. Ganz genau weiß er hingegen, wie oft er mit seiner Staffel gewonnen hat: „Siebenmal.“ Nachsatz: „Natürlich will man siegen.“ Und dennoch ist an diesem Abend neben Aufregung und Siegerabsicht noch etwas anderes spürbar – nämlich Kameradschaft. „Da lässt man alle privaten Querelen heraußen“, sagt Pranger. „Es ist ein tolles gesellschaftliches Ereignis. Denn man trifft Teilnehmer, die man sonst das ganze Jahr nicht sieht“, berichtet Robert Fankhauser. Der 34-Jährige ist Mitglied einer besonderen Staffel, bestreitet er doch das Rennen mit seinen Brüdern Thomas und Reinhold. Vater Horst Fankhauser wiederum – langjähriger Pächter der Franz-Senn-Hütte – gewann 1973 den ersten Kräulspitzstaffellauf.
Samstagfrüh: Jene Staffelmitglieder, die von der Kräulscharte bis zur Franz-Senn-Hütte abfahren, sind vor sieben Uhr losmarschiert. Bei minus 25 Grad. „Es ist immer wieder eine Überwindung. Darum ist jeder, der daran teilnimmt, ein wilder Hund“, sagt Pranger.
Neben den 87 Teilnehmern sind 70 Personen mit dem Ablauf beschäftigt – von Feuerwehr über Bergrettung bis zur Gendarmerie. „Dieser Lauf eint das ganze Dorf“, ist Holzknecht stolz. „Jetzt hoffen wir nur noch, dass so wie in den vergangenen Jahren kein allzu schlimmer Unfall passiert.“
Samstag 12 Uhr: Alle sind im Ziel, die wenigen Stürze glimpflich ausgegangen. Im Anschluss fahren die Nicht-Teilnehmer ins Tal. Statt tief in der Hocke wie die Kräulspitzfahrer zuvor langsam. Um nicht aufgrund zu hoher Geschwindigkeit auf dem Winterweg zu stürzen und in der Schlucht zu landen. Nachsatz: Den 40. Kräulspitzstaffellauf hat das Team mit Dieter Holzknecht, Arnold Span und Markus Kindl gewonnen. Ihre Zeit: 19,28 Minuten.