Früher war weniger Lametta
Fahrzeugbau-Mittelalter und Komfort-Moderne gehen in der erneuerten G-Klasse Hand in Hand: Zu den jahrzehntelang bewährten Geländefähigkeiten gesellen sich Multimedia-System und LED-Technik.
Von Markus Höscheler
Innsbruck –Einem betagten Gaul schaut man einfach ins Maul: Mercedes hat sich im vergangenen Jahr entschieden, die seit mehr als drei Jahrzehnten produzierte G-Klasse mit einer Modellpflege zu beehren, ohne am bewährten Grundgerüst zu rütteln. Beim schweren Unterbau, beim hohen Aufbau und beim mechanisch aufwändigen Allradsystem ist vieles beim Alten geblieben ist, bei Komfort- und Sicherheitstechnik hingegen zog das 21. Jahrhundert ein.
Die äußerlichen Änderungen sind zwar geringfügig, aber sie leuchten ins Auge: Neu sind das LED-Tagfahrlicht, auf zwei Leisten unterhalb der Rundscheinwerfer, und die Außenspiegelgehäuse mit Seitenblinkern. Um einen Loriot-Stehsatz gekippt zu bemühen: Früher war weniger Lametta. Ansonsten protzt die G-Klasse mit den üblichen Ecken und Kanten, mit großzügigen Trittbrettern, ungemein wuchtigen Radhäusern, mit schweren, gleichwohl dünnen Türen und einer massiven Motorhaube. Darunter findet sich – im G 350 BlueTec – ein V6-Dreiliter-Turbodiesel mit 211 PS und einem Drehmomentmaximum von 540 Newtonmetern. Wer den großen Tank füllen muss – sein Fassungsvermögen beträgt 96 Liter –, dem fällt ein zweites Füllloch auf, reserviert für Harnstoff. Diese Verbindung dient dazu, das bei der Dieselverbrennung entstehende Stickstoffoxid zu reduzieren.
Mit dieser Technik gelingt es, die Schadstoffemissionen einigermaßen im Zaum zu halten. Der Durchschnittsverbrauch von 15 Litern je 100 Kilometer war im Test zu erwarten, wenn wir uns das Schwergewicht (2,6 Tonnen) und den Luftwiderstand der Karosserie vor Augen halten – und natürlich die Verlockung eines durchgedrückten Gaspedals: Das Triebwerk regt zu munterer Beschleunigung an und ebenfalls zum Ausprobieren im Gelände. Dort brilliert die G-Klasse wie bisher dank einer zuschaltbaren Untersetzung und der Aktivierung von einer Längs- sowie zwei Quersperren.
Gelingt trotz des zuverlässigen Allradsystems die Fortbewegung nicht mehr, bietet sich Insassen die Gelegenheit, das Multimediasystem Comand Online samt mittigem Drehdrücksteller und hochauflösendem Bildschirm kennenzulernen. Es verblüfft, wenn in einem Fahrzeug, das aus dem Automobil-Mittelalter (Leiterrahmen, Starrachsen) stammt, plötzlich Audiostreaming via Bluetooth und ein Internetzugang möglich sind. Die Hightech-Zentrale im mobilen Altbau stößt zwar gelegentlich an ihre Grenzen: Etwa dann, wenn beim Rückwärtsfahren die Rückfahrkamera nur ein eingeschränktes Bild wiedergeben kann, da das außen fixierte Reserverad einen Teil des Bildausschnitts belegt.
Doch es überwiegen die positiven Erfahrungen, die die hoch sitzenden Passagiere mit der G-Klasse und ihrer Sonderausstattung machen: Der Totwinkel-Assistent warnt vor verhängnisvollen Spurwechseln, die Distronic Plus fungiert als praktisch-bequemer Abstandsregeltempomat und das Surround-Soundsystem Harman Kardon Logic7 beschallt die Gäste wie in einer Luxusklasse-Limousine. Der ähnelt die G-Klasse auch in puncto Anschaffungswert. Ab 111.291,60 Euro steht der G 350 BlueTec in der Preisliste, mit den Testwagen-Optionen verlangt der Mercedes-Verkaufsberater 142.971 Euro.