Arabische Frauen im Fokus

Die Verliererinnen der Revolution

Von Libyen bis Syrien tragen viele Frauen die Lasten der arabischen Revolution mit. Doch in den neuen Ordnungen, die entstehen, haben sie oft noch weniger zu sagen als vorher.

Istanbul –Hiba al-Hadschi spricht in einem Stakkato, das Durchsetzungsfähigkeit signalisiert. Die 27 Jahre alte Englisch-Dozentin mit dem runden Gesicht ist selbstbewusst und geht keiner Diskussion aus dem Weg. Die sunnitische Muslimin aus Syrien fühlte sich unter dem Regime von Präsident Bashar Assad benachteiligt, weil sie Kopftuch trägt. Auch deshalb steht die junge Frau auf der Seite der „Revolution der Würde“ und will den Sturz des Regimes in Damaskus. Doch sie hat auch Angst vor dem, was danach kommt.

„In Ägypten haben die Frauen immer gesagt, wir müssen zuerst Hosni Mubarak stürzen, danach kümmern wir uns um die Rechte der Frau. Das war ein Fehler, aus dem wir syrischen Frauen lernen sollten“, sagt al-Hadschi. Erste Anzeichen dafür, dass es in Syrien Bestrebungen gibt, die Frauen an den Herd zurückzudrängen, hat sie schon ausgemacht. Empört berichtet sie in Istanbul: „In den befreiten Gebieten von Idlib war ich mit dem Auto unterwegs, da hat ein Salafist an einer Straßensperre zu mir gesagt, ich sollte nicht am Steuer sitzen, weil ich eine Frau bin.“

Dass die Frauen in Ägypten neben den Christen zu den Verlierern der Revolution gehören, wird inzwischen nur noch von den regierenden Islamisten bestritten. Zwar haben Frauen, die Kopftücher tragen, jetzt bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – sie dürfen bei Egypt Air arbeiten oder als Moderatorinnen im staatlichen Fernsehen. Doch die Zahl der Frauen im Kabinett und im Parlament ist seit dem Sturz des Regimes noch niedriger als zuvor.

Bei Protesten in Kairo kommt es immer wieder vor, dass sich Männer in Gruppen auf Frauen stürzen, sie umzingeln, ausziehen und befingern. Die Ägypter streiten darüber, ob die meist jungen Angreifer nur das Chaos ausnutzen oder ob es sich um eine Kampagne handelt, um Frauen aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Frauen, die außerhalb der Reichenviertel leben und nicht verschleiert sind, berichten zudem von mehr oder weniger aggressiven Männern, die sie auf der Straße wegen ihrer angeblich unzüchtigen Aufmachung maßregeln.

Die Tunesierinnen haben ähnliche Probleme. Tausende gingen im Herbst auf die Straße, um gegen das Unrecht zu demonstrieren, das einer jungen Frau widerfahren war. Die 27-Jährige war nach eigener Aussage von zwei Polizisten vergewaltigt worden und wurde dann wegen „unsittlichen Verhaltens“ angeklagt. Die Klage wurde nach öffentlichem Druck fallen gelassen.

In der Vergangenheit ging es Frauen in Tunesien besser als in anderen arabischen Ländern. Beispielsweise war die Polygamie verboten, und viele Frauen hatten Arbeit. Doch wie an anderen Schauplätzen der arabischen Revolution, an denen es jetzt freie Wahlen gibt, haben in Tunesien die Islamisten großen Einfluss gewonnen. Und diese möchten das Rad der Zeit lieber zurückdrehen als voran.

Auch in Libyen, wo die Gesellschaft insgesamt deutlich konservativer ist als in Tunesien, wollen Frauen ihren Anteil an den Früchten der Revolution ernten. Viele von ihnen haben während des Kampfes gegen Diktator Muammar Gaddafi wichtige Rollen im Hintergrund gespielt, während in den Nachrichten immer nur die bewaffneten Männer zu sehen waren.

Jetzt müssen sich die libyschen Frauen gegen Islamisten verteidigen. Kürzlich wurde ein Frauenzentrum zerstört und zwei führende Aktivistinnen, eine Dozentin und eine Anwältin, wurden sogar von Sicherheitskräften beschimpft und bedroht.

Hiba al-Hadschi glaubt, dass die Syrerinnen schon jetzt sicherstellen müssen, dass sie von den Männern nicht über den Tisch gezogen werden. Denn auch die Frauen zahlen für diese Revolution, die in einen Bürgerkrieg ausgeartet ist, einen hohen Preis. „Meine Freundin starb unter der Folter“, sagt al-Hadschi. Sie fordert, dass die lokalen Revolutionskomitees auch Aktivistinnen aufnehmen und schimpft: „Vor allem die Islamisten benutzen Frauen nur als Dekoration, meistens besetzen sie Posten in diesen Gremien einfach mit ihren Ehefrauen.“ (TT, dpa)

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