Parteien in Italien schweigen einen Tag vor Parlamentswahl
Die Parteien beendeten am Freitagabend ihre Kampagnen um die Gunst der Wähler. Nach Einschätzung von Meinungsforschern lässt sich keine verlässliche Prognose über das Ergebnis abgeben.
Rom – In Italien ist der Vorhang über dem zwei Monate langen Wahlkampf vor den Parlamentswahlen gefallen. Die Schwergewichte der italienischen Politik richteten letzte Appelle an die Wählerschaft in der Hoffnung, die Stimmen der Unentschlossenen zu gewinnen.
Über fünf Millionen Italiener haben noch nicht entschieden, wen sie am Sonntag und Montag wählen werden. Der Wahlausgang gilt als vollkommen offen. Neue Wahlaufrufe sind ab dem heutigen Samstag verboten.
Grillo füllte Lateranplatz mit seinen Anhängern
Eine riesige Menschenmenge beteiligte sich am letzten Wahlkampfauftritt des Starkomikers Beppe Grillo, der am Freitagabend auf dem Lateranplatz in Rom seine „Tsunami-Tour“ abschloss. Grillo zeigte sich überzeugt, dass der Erfolg seiner „Fünf Sterne-Bewegung“ alle Erwartungen übertreffen werde. Eine Lawine werde die Traditionsparteien überrollen und einen Neubeginn im Land in die Wege leiten, versicherte Grillo vor begeisterten Fans. Der Erfolgsblogger setzt sich gegen die „Kaste der Berufspolitiker“, gegen Verschwendung im politischen System und gegen internationale Finanzlobbys ein.
Ex-Premier Silvio Berlusconi verzichtete indes überraschend auf seinen letzten Wahlkampfauftritt. Wenige Stunden vor Abschluss der Kampagne seiner Mitte-Rechts-Allianz sagte der Medienunternehmer wegen einer starken Bindehautentzündung seinen seit Wochen geplanten Auftritt in Neapel ab. Berlusconi sendete seinen dort versammelten Anhängern eine Videobotschaft, in der er sie aufrief, einen Linksruck in Italien abzuwenden.
Bersani und Monti beschwören Neubeginn
Bei seinem letzten Wahlkampfauftritt in Rom rief Favorit Pierluigi Bersani den scheidenden Premier Mario Monti, Chef eines Blocks gemäßigter Parteien, zur Zusammenarbeit nach dem Urnengang auf. Italien brauche dringend Reformen und Maßnahmen fürs Wirtschaftswachstum, die man nur mit einer soliden Mehrheit im Parlament umsetzen könne.
„Maßnahmen für die Beschäftigung, Liberalisierung in der Wirtschaft, Kampf gegen Korruption und die Einbürgerung der Migrantenkinder sind einige Themen, mit denen wir uns sofort nach dem Regierungsantritt befassen werden“, betonte Bersani, der das Mitte-Links-Lager anführt.
Monti schloss in Florenz seinen Wahlkampf ab. Dabei appellierte er an die Wähler, Parteien zu unterstützen, die Italiens Reformenweg fortsetzen wollen. „Italien steht vor der Wahl zwischen Populisten und Reformern“, sagte Monti. Er warnte vor dem „destruktiven Populismus“ einiger Gruppierungen, die seiner Ansicht nach die „legitime Wut der Italiener“ nützen würden, um das Land zu zerstören und dessen Austritt aus Europa zu erzwingen.
„Zynismus, Resignation, Populismus und Demagogie sind die wahren Feinde, die man in Italien mit diesem Urnengang besiegen muss“, betonte Monti, der der bisherigen Expertenregierung vorsteht. Monti war Ende 2011 von Staatspräsident Giorgio Napolitano mit den Regierungsgeschäften beauftragt worden, nachdem Berlusconi, der nicht nur mit Politik, sondern auch mit Prozessen gegen ihn wegen Steuerbetrugs und Sex mit einer minderjährigen Prostituierten für Schlagzeilen gesorgt hatte, inmitten der Finanzkrise zurückgetreten war.
Monti: „Italien muss neu auferstehen“
Der 69-Jährige unterstrich, dass Florenz die Hauptstadt der Renaissance gewesen sei. „Ich bin zutiefst überzeugt, dass Italien neu auferstehen muss. Mit diesem Urnengang kann ein Weg des Neustarts beginnen, der auf der selben Basis der Renaissance fußt: Kultur, Arbeit und Talent“, erklärte der Wirtschaftsprofessor.
Nach Einschätzung von Meinungsforschern lässt sich keine verlässliche Prognose über das Ergebnis der Wahlen abgeben. Die letzten Umfragen deuteten darauf hin, dass es in der Abgeordnetenkammer und im Senat zu einer arbeitsfähigen Mehrheit der linken Mitte unter Bersani mit der Zentrumsbewegung von Ministerpräsident Monti reichen könnte.
Allerdings habe die Partei Berlusconis mit dem Versprechen von Steuersenkungen an Zulauf gewonnen, behaupten jedenfalls Meinungsforschungsexperten. Gewählt wird in Italien am Sonntag von 08:00 bis 22:00 Uhr und am Montag von 07:00 bis 15:00 Uhr. Mit einem Wahlergebnis ist am späten Montagabend zu rechnen. (APA)