Michael Hanekes „Cosi“ in Madrid: Hoch ästhetisches Liebesdrama
Mit viel Applaus ist am Samstag Abend im Teatro Real von Madrid die Premiere von Michael Hanekes Inszenierung der Mozart-Oper „Cosi fan tutte“ gefeiert worden.
Von Wolfgang Huber-Lang
Madrid - Seinen „Don Giovanni“ hatte er 2006 in Paris in einem Bürohochhaus spielen lassen. Auch seine zweite Opern-Inszenierung siedelt Michael Haneke in der Gegenwart an: „Cosi fan tutte“ spielt in einem teuer modernisierten italienischen Lustschloss, dessen herrlichen Garten Bühnenbildner Christoph Kanter in der Tiefe der Bühne des Madrider Teatro Real erahnen lässt. Hier gibt Hausherr Don Alfonso eine Housewarmingparty als Kostümfest. Ein gelungener Trick, das Alte ins Heute zu überführen. Und tatsächlich begibt sich der österreichische Regisseur mit seiner Interpretation, die gestern Premiere hatte, in manchen Bereichen auf neues Terrain.
Haneke hat der „Cosi“, der Liebes- und Treueprüfung, der die beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella von ihren Liebhabern unterzogen werden, eine ausführliche Vorgeschichte verpasst, die er in vielen Interaktionen zwischen Don Alfonso und Despina andeutet. Hier ist sie nicht Kammerzofe, sondern Hausherrin, von Kostümbildnerin Moidele Bickel mit eine Art Weißclownkostüm bedacht und mit dem intriganten Hausherrn in einem ständigen Psychokrieg verstrickt. „Warum hat denn der reiche Herr Alfonso nur diese Despina geheiratet, wo sie doch eine Immigrantin und 20 Jahre jünger ist als er?“, beginnt Haneke einen kleinen, im Programmheft abgedruckten Fragenkatalog, der offenbar als Wegweiser durch seine Sicht auf „Cosi fan tutte“ dienen soll. „Warum glaubt er denn, dass sie ihn betrügt? Warum muss er sie denn demütigen? Warum muss sie ihn denn demütigen?“
Hanekes „Cosi“ ist kein tändelndes, heiteres „Dramma giocoso“, sondern ein Liebes-, Gefühls- und Rachedrama, dessen Ursprünge in der Vergangenheit dieses ungleichen Paares liegen. Dass er sich dabei mitunter stark von der heiteren Oberfläche entfernt, die nicht zuletzt die musikalische Seite der Oper immer wieder vorgibt, schwächt den starken Gesamteindruck. Dirigent Sylvain Cambreling unternimmt alles, um mit dem Orchester des Teatro Real Hanekes gefühlvolle und tragische Interpretation zu unterstützen, was mit Fortdauer des dreidreiviertelstündigen Abends (inklusive einer Pause) seine Längen hat.
Szenisch werfen die kostümunterstützten Verwirrspiele, der seltsame Auftritt der Liebhaber Guglielmo und Ferrando als exotische Fremde, sowie der Mummenschanz von Despina als Clowndoktor, der einen i-Pad als Defibrilator verwendet, und als greiser Notar, mehr Fragen als Antworten auf. „Komödie kann ich nicht“ - dieses selbstkritische Eigen-Urteil widerlegt Haneke nicht, und für das grundsätzliche Handicap jeder „Cosi“, dass die beiden jungen Frauen nicht einmal aus nächster Nähe in der Lage sind, ihre Liebhaber wiederzuerkennen, hat er keinen Geniestreich parat. Dafür widmet er sich mit ausführlicher Tiefgründigkeit den Gefühlswirren der jungen Paare, deren Liebe auf die Probe gestellt wird. Michael Hanekes „Cosi fan tutte“ hat erstaunlich viel mit seinem Film „Amour“ zu tun, dessen fünffache Oscar-Nominierung der Grund war, dass der Regisseur seiner Premiere fernblieb. Dafür entschuldigte sich Haneke brieflich beim Publikum: „Wenn es Ihnen gefällt, halten Sie mir für die Oscars die Daumen. Wenn nicht, dann bitte ebenso.“
Der Beifall war herzlich, aber nicht überaus euphorisch. Zu Recht besonders umjubelt wurde Anett Fritsch als Fiordiligi, die mit ihrem Sopran für die tief empfundenen Gefühlsregungen ihrer Figur stets den rechten Ton traf, egal, ob sie im roten, bauchfreien Ensemble mit schwingendem Rock händeringend ihre Liebespein beschwor, sich lasziv auf dem Schoß des einen, oder später sich verzweifelt ihrem Schicksal ergebend in den Armen des anderen Mannes wand. Paola Gardina sang solide und wirkte als Dorabella im schwarzen Hosenanzug nur scheinbar etwas spröder. Dass Guglielmo (nicht herausragend: Andreas Wolf) ihr kein Bildchen, sondern gleich ein T-Shirt mit aufgedrucktem Foto von Ferrando abnimmt, ist eine der wenigen originellen Ideen der Inszenierung, die mehr auf gedanklichen Tiefgang denn auf szenische Effekte setzt. Juan Francisco Gatell hat als Ferrando eine sehr schöne, zu recht mit Sonderapplaus bedachte Arie. Kerstin Avemo war auch gesanglich als Despina wesentlich präsenter als „Don Alfonso“ William Shimell.
Am Ende wendet sich die Gesellschaft mit Grausen ab vor soviel offenkundiger „Unmoral“, die doch nur auf dem verzweifelten Versuch der Wahrhaftigkeit gründet: Tief zerrissen zerren die Beteiligten in einem starken Schlusstableau an einander und wollen dabei doch nur dem Ruf ihrer Herzen folgen. Musikalisch schreibt diese „Cosi“ nicht Interpretationsgeschichte, doch szenisch hat Haneke mit seiner zweiten Operninszenierung einen starken Eindruck hinterlassen: Ein feinfühliges, tragisches, fast choreografisch gearbeitetes Kammerspiel in einem hoch ästhetischen Setting. Es ist zu hoffen, dass diese Koproduktion mit der De Munt Oper in Brüssel als Gastspiel auch den Weg nach Wien finden wird. Mit oder ohne Oscar. (Wolfgang Huber-Lang ist Korrespondent der Austria Presse Agentur.)