Genuss

Operation Krankenhauskost

Zu wenig Würze, zu einseitig: Über das Spitalsessen wird viel gejammert. Ein Besuch in der Innsbrucker Klinik zeigt, welcher Aufwand hinter 6000 Mahlzeiten pro Tag steckt.

Von Elke Ruß und Nicole Unger

Innsbruck –Sagen wir es so: Die Diagnose beim Krankenhausessen ist oft ernüchternd. Obwohl Hauben die Gerichte warm halten, heißt es nicht, dass es sich bei der Spitalskost um gekrönte Haubenküche handelt. Dennoch kann man behaupten, dass sich in den letzten Jahren die Essensqualität in heimischen Krankenhäusern verbessert hat. Auch die Zeiten, an denen der Patient pünktlich mit der Morgentablette um fünf Uhr sein Frühstück und um 16 Uhr sein kaltes Abendessen serviert bekam, sind vorbei. Dennoch haftet am Spitalsmenü ein schlechter Ruf, und zwar so hartnäckig wie ein lästiges Magengeschwür.

Der US-Autor Rob Lyons geht in seinem Buch „Panic on a Plate“ etwa sehr hart mit den Speisen ins Gericht. Er behauptet, das Essen in Spitälern sei zu langweilig und geschmacklos. Dem Heilungsfortschritt würde das nicht entgegenkommen.

Die Tiroler Tageszeitung wollte daraufhin wissen, was denn die Tiroler von der Krankenhaus-Verköstigung halten und hat auf Facebook danach gefragt. Die Meinungen klafften auseinander und gingen von „leider grausig“, „Cremesuppen schmecken alle gleich“, über „essbar“, „völlig o. k.“ bis hin zu „einfach toll“. Der Großteil der User hält aber nichts von Jammern und sieht die Situation vorurteilsfrei: „In einer Massenküche kann es nie so schmecken wie daheim“, befand ein Benutzer. Und: „Natürlich fehlt oft die Würze, aber immerhin ist man im Krankenhaus und nicht im Restaurant“, meinte ein anderer. Aber: „Mal selber probieren für Zigtausende Menschen zu kochen und dann einem jeden recht machen.“

Ein wichtiger Aspekt. Denn die Logistik, die hinter einer Spitalsküche steckt, ist enorm, wie ein Lokalaugenschein der TT an der Klinik Innsbruck beweist. Immerhin 6000 Patienten und Bedienstete werden pro Tag aus der Innsbrucker Klinikküche verköstigt. Rund 4000 Portionen für die Stationen werden im „Cook&Chill“-Verfahren („Kochen, Kühlen und Aufwärmen“, Anm.) erzeugt, für die Mensa werden 2000 Portionen großteils frisch gerichtet. Die etwa 140-köpfige Küchencrew versorgt außerdem das Krankenhaus Hall, die Burnout-Klinik in Lans und das Altenheim Aldrans, berichtet der stellvertretende Küchenleiter Gerd Hödl bei einem Rundgang durch die Klinik-Großküche.

„Wir haben täglich sieben Standardmenüs, davon leiten wir 80 Sonderformen ab“, erklärt er. Eine eigene Abteilung mit fünf Diätköchen kümmert sich um die Spezialmahlzeiten. So darf ein Patient mit Schluckbeschwerden nur passierte Kost erhalten, der Diabetiker bekommt ein anderes Menü als der Darmkrebspatient oder ein Patient mit Fruktoseintoleranz.

Auf der Lieferantenliste stehen allein zehn Bauern und sechs Fleischlieferanten. „So frisch, wie wir kochen – das kann sich kein Restaurant leisten“, betont Produktionsleiter Günter Kern. Fertigprodukte würden fast keine zum Einsatz kommen. Nur Grießnockerln und Frittaten stammen aus der Packung. Selbst Knödel und Spätzle, Pudding und Apfelmus werden selbst gemacht, das Joghurt komme im Zehnliterkübel vom Bauern, versichert der Koch.

Aus hygienischen Gründen werde kein Frischei verwendet, auch Hühnerbrüste kommen nur vorgebraten ins Haus. Das zubereitete Essen wird in der Küche sofort abgekühlt, bei vier Grad gelagert und erst auf den Stationen auf 70 Grad „regeneriert“. Jede Überschreitung der Kühltemperatur melde das System.

Portioniert wird nur mit Handschuhen und Mundschutz. Von jedem Gericht wird eine Probe aufbewahrt. Dreimal jährlich kontrolliert das Hygieneinstitut der Uni die Küche, ein- bis zweimal im Jahr das Marktamt. Nach dem Norovirus-Vorfall im Bereich der Innsbrucker Sozialen Dienste werde dies bald sein, meint Markus Wille, der Leiter der Wirtschaftsbetriebe.

Alle vier Wochen wiederholt sich der Speiseplan. „Beim Kalkulieren müssen wir mit einem Euro pro Menü auskommen“, betont Hödl. Wenn das Budget im Oktober steht und Schweinefleisch im Februar aber um 25 Prozent teurer wird, müsse man „mit dem Speiseplan gegensteuern, dann gibt es z. B. ein Nudel- statt eines Fleischgerichts“.

Die meisten Beschwerden kämen von Krebspatienten, weil sich während der Chemotherapie oftmals der Geschmack ändern würde. Und von Kindern, obwohl es für die Kleinen sogar einen eigenen Speiseplan gebe, auf dem etwa auch Fischstäbchen ihren Platz haben. Klagen gebe es auch, wenn ein Patient nicht das erhoffte Wunsch­essen erhalte, was bei 200 Neuaufnahmen pro Tag mit diversen Diätanforderungen nicht auszuschließen sei. Das Essen sei halt ein Ventil: „Sich über den Arzt oder die Pflege zu beschweren, traut man sich oft nicht“, erklärt sich Wille das viele Geschimpfe über das Menü. „Wir bekommen aber auch Lob!“

Mit den Mengen komme man „zu 95 Prozent hin“, betont Kern. Die Erfahrung etwa lehrt, dass 1500 von 2000 Kantinenbesuchern am Schnitzeltag auch genau das essen.

Hödl verhehlt aber auch Probleme nicht: Wenn die gekühlten Speisen im Wagen auf der Station erwärmt werden, könne es z. B. passieren, dass das Essen wegen eines defekten Tellers nur 50 statt 70 Grad erreiche. Manches sei auch, wie beim Frühstück, eine Frage der Präsentation auf den Stationen. Und teils reiche ein Handgriff, um z. B. zu intensive Kochgerüche zu mildern: „Ein erster Schwall vom Blumenkohl kann einem den Appetit verderben. Wenn man vor dem Servieren aber einmal den Deckel lüftet, ist der erste Dampfschwall weg“, weiß der Küchenchef.

In puncto Kreativität, so bedauert Hödl, könne man sich halt aufgrund der vielen Diäten relativ wenig bewegen. „Ideen hätten wir alle!“ Eine Haube im Gault Millau ist aber wohl eher unwahrscheinlich.