Nach Streit um Presseplätze soll NSU-Verfahren nun beginnen
Zuletzt stellte der Streit um die Presseplätze im Gerichtssaal die Sache selbst in den Schatten: Jahrelang konnte eine Neonazigruppe in Deutschland unerkannt Jagd auf Einwanderer machen. Nun soll der Prozess um die NSU-Morde endlich beginnen.
Von Klaus Blume, dpa
München –
Am Montag beginnt einer der wichtigsten und brisantesten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte: Vor dem Oberlandesgericht (OLG) München müssen sich die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe und vier Beschuldigte aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verantworten.
Eigentlich sollte der Prozess schon am 17. April begonnen haben, doch wegen Streits um die Presseplätze verschob das Gericht den Auftakt um fast drei Wochen. Es geht um die Taten einer rechtsextremen Terrorzelle, die zwischen 2000 und 2006 in Deutschland acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Einwanderer sowie 2007 eine Polizistin ermordet haben soll. Auch zwei Bombenanschläge und etliche Banküberfälle werden dem NSU zugerechnet.
Streit um Presseplätze sorgt für Verzögerung
Seit der NSU Ende 2011 aufgeflogen war, hat die Mordserie gewaltige Wellen geschlagen. Die sorgfältige Vorbereitung des Münchner Prozesses brauchte Zeit, doch als Ende März die Liste der akkreditierten Medien bekannt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los: Kein einziges türkisches oder griechisches Medium hatte einen festen Platz auf der Pressetribüne bekommen.
Das Gericht hatte die Plätze streng nach der Reihenfolge der Anmeldungen vergeben, ohne nach der Herkunft der Medien zu unterscheiden. Am 12. April gab das Bundesverfassungsgericht einer Klage der türkischen Tageszeitung „Sabah“ statt und entschied, dass das OLG eine angemessene Zahl von Sitzplätzen Vertretern ausländischer Medien geben müsse.
Das Gericht verschob daraufhin den Prozessbeginn auf den 6. Mai und änderte das Verfahren. Nun wurden die Presseplätze verlost, wobei es eigene Untergruppen für türkisch und griechisch publizierende Medien gab. Bei der Verlosung am Montag dieser Woche gingen namhafte deutsche Zeitungen leer aus. Einige drohten mit Klage, und es gab schon neue Verfassungsbeschwerden freier Journalisten.
Durch Zufall auf die Nazi-Spur
Der Streit um die Presseplätze überschattete die Sache, um die es eigentlich geht. Viele Fragen sind noch zu beantworten: Zum Beispiel, wie es möglich war, dass drei seit 1998 als Bombenbauer per Haftbefehl gesuchte Neonazis 13 Jahre lang mitten in Deutschland leben und Anschläge verüben konnten. Auf Polizei und Geheimdienste wirft das kein gutes Bild. Über Jahre hatten die Ermittler falsche Spuren verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund verkannt.
Lange waren die Taten in Deutschland als „Döner-Morde“ bezeichnet worden. Die erschossenen Döner-Wirte, Gemüsehändler oder Schneider seien Opfer einer Milieukriminalität geworden, hatte es geheißen. Verdächtige wurden auch in den Reihen der Familien selbst gesucht, die trauernden Angehörigen also als Mittäter verdächtigt. Erst Jahre später und eher durch Zufall kam man auf die Nazispur.
In der Kleinstadt Eisenach (Thüringen) wurden am 4. November 2011 nach einem Banküberfall die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem Wohnmobil gefunden. Von der Polizei entdeckt, erschoss laut Bundesanwaltschaft Mundlos zunächst Böhnhardt und dann sich selbst. Im ausgebrannten Wohnmobil lagen die Dienstwaffen der 2007 erschossenen Polizistin und ihres damals schwer verletzten Kollegen.
Nur wenige Stunden später zündete Böhnhardts und Mundlos‘ Gefährtin Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau (Sachsen) an. In der Ruine wurden die Pistole der Marke Ceska entdeckt, mit der die Einwanderer ermordet worden waren, sowie rechtsextreme Propaganda-Videos mit Bezügen zu den „Döner-Morden“. Wie Zschäpe so schell vom Tod ihrer Kameraden im 185 Kilometer entfernten Eisenach erfahren konnte, ist eine andere offene Frage. Die Frau stellte sich vier Tage später, verweigert aber seit ihrer Festnahme die Aussage.
Vorläufig 85 Verhandlungstage angesetzt
Die 38-jährige Zschäpe ist die einzige Überlebende des NSU. Die Anklage lautet auf Mord. Die deutsche Bundesanwaltschaft macht sie als Mittäterin für die Morde verantwortlich, auch wenn wahrscheinlich nur Böhnhardt und Mundlos geschossen haben. Der frühere Funktionär der rechtsextremen Partei NPD, Ralf Wohlleben, und der Rechtsextremist Carsten S. sind der Beihilfe zum Mord angeklagt, zwei weiteren Angeklagten wird die Unterstützung der Gruppe vorgeworfen.
Für den Prozess hat das OLG München zunächst 85 Verhandlungstage bis Jänner 2014 angesetzt, aber wahrscheinlich wird er viel länger dauern, nach manchen Schätzungen zweieinhalb Jahre. Dagegen erscheint die knapp dreiwöchige Verzögerung des Prozess-Beginns recht kurz.
Klaus Blume arbeitet als Reporter bei der Nachrichtenagentur dpa.