Europäische Union

Menschenhandel: Österreich bei EU-Richtlinien säumig

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© APA/HELMUT FOHRINGER

Zwei Jahre hatten die EU-Staaten Zeit, um die Vorgaben gegen Menschenhandel umzusetzten. Erst fünf der 27 Staaten haben die Richtlinien umgesetzt.

Brüssel, Wien – In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Opfer von Menschenhandel in der EU gestiegen, gleichzeitig wurden weniger Täter verurteilt, geht aus einer Studie der EU-Kommission hervor. Trotzdem haben erst sechs von 27 Staaten eine entsprechende Richtlinie vollständig umgesetzt, die zweijährige Frist dafür ist am 6. April ausgelaufen. Nun sei es „höchste Zeit“ zu handeln, sagte Innenkommissarin Cecilia Malmström am Montag in Brüssel. Ansonsten werde die Kommission nicht zögern, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

EU-Kommission will Druck machen

Auch Österreich gehört zu jenen Staaten, welche die EU-Richtlinie für den Kampf gegen den Menschenhandel noch nicht umgesetzt haben. Vollständig implementiert wurde diese bisher nur von Tschechien, Lettland, Finnland, Ungarn, Polen und Schweden. Drei weitere Staaten - Belgien, Lettland und Slowenien - haben zumindest Teile davon in nationales Recht verankert.

Woran es liegt, dass ganze 21 Staaten säumig sind, sei unklar, sagte Malmström. Bei der Verabschiedung der Richtlinie seien die Staaten sehr schnell und aktiv gewesen, die Umsetzung stocke aber, womöglich aus bürokratischen Gründen. Wie weit die einzelnen Staaten mit der Implementierung sind, sei unklar. Die EU-Kommission will jetzt jedenfalls Druck machen und mit den Ländern in Kontakt treten. Sollten die Staaten weiterhin nicht handeln, kann die Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleiten und in letzter Konsequenz Strafen beim EU-Gerichtshof beantragen. Das gelte auch für diese Richtlinie, stellte Malmström klar.

Mehr als 23.000 Opfer von Menschenhandel

Zwischen 2008 und 2010 wurden laut einer heute vorgestellten Studie der EU-Kommission 23.632 Personen Opfer von Menschenhandel. Während die Opferzahlen in dem Zeitraum massiv gestiegen sind - um 18 Prozent - ging die Zahl der verurteilten Menschenhändler um 13 Prozent zurück.

Mehr als zwei Drittel der Opfer von Menschenhandel waren Frauen, 15 Prozent Kinder, davon größtenteils Mädchen. Die meisten wurden Opfer sexueller Ausbeutung (62 Prozent), gefolgt von Zwangsarbeit (25 Prozent). Weitere Menschen wurden zur Organentnahme oder zu kriminellen Handlungen gezwungen.

61 Prozent der Opfer stammten aus den EU-Mitgliedsstaaten, hier vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Viele von ihnen - nicht alle - seien Roma, sagte Malmström. Die Behörden in den beiden Ländern müssten das sehr ernst nehmen, es seien diesbezüglich bereits einige Projekte am Laufen. Die Lebenssituation der Roma müsse sich verbessern, so Malmström.

76 Prozent der Menschenhändler aus der EU

Die Wirtschaftskrise habe ebenfalls dazu beigetragen, dass die Opferzahlen gestiegen sind. Die Opfer ohne europäische Staatsbürgerschaft stammten am häufigsten aus Nigeria und China.

Warum umgekehrt immer weniger Täter wegen Menschenhandels hinter schwedische Gardinen kommen, ist für die Kommission ebenfalls nicht ganz klar. Ein Grund könnte sein, dass der Tatbestand Menschenhandel schwerer nachzuweisen ist als weniger schwerwiegende Straftaten, so Malmström.

2010 stammten 76 Prozent der strafrechtlich verfolgten Menschenhändler aus der EU, 2008 waren es erst 67 Prozent gewesen. Die Täter aus Nicht-EU-Staaten kamen in dem Zeitraum zumeist aus Albanien, Marokko, Russland und der Türkei.

Gesetzesentwurf in Österreich in Begutachtung

Die im April 2011 in Kraft getretene EU-Richtlinie soll den Kampf gegen Menschenhandel erleichtern und die Rechte der Opfer stärken. Österreichs Säumigkeit bei der Umsetzung der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel dürfte laut Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im Bundeskriminalamt (BK), nur eine Frage der Zeit sein. Denn die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen seien in Begutachtung und dürften schon bald beschlossen werden. Unabhängig davon sah der Experte die heimischen Anstrengungen zur Bekämpfung des Menschenhandels auf einem guten Weg: „Wir identifizieren mehr Opfer“, sagte Tatzgern am Montag im APA-Gespräch.

Die Zahlen des BK untermauern dies: So wurden im Jahr 2011 insgesamt 20 Menschenhandelsfälle (Paragraf 104a StGB) angezeigt. Ein Jahr später waren es zwei mehr. Die Zahl der identifizierten Opfer stiegen von 23 auf 28. Geht es um den grenzüberschreitenden Prostitutionshandel (Paragraf 217 StGB), gingen zwar die Anzeigen von 52 auf 48 zurück. Die Zahl der identifizierten Opfer stieg aber von 47 im Jahr 2011 auf 75 ein Jahr später an. Auch mehr Verdächtige wurden im Vorjahr ausgeforscht: 85 statt 47 im Jahr 2011.

Es liege aber nicht daran, dass sich mehr Opfer melden würden, erklärte Tatzgern. Die Angst der Opfer vor der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden scheint ungebrochen. Doch dieses Dilemma will Tatzgern umgehen, indem „wir inhaltlich weg vom Personalbeweis verstärkt hin zum Sachbeweis kommen“, erläuterte er. Klinisch-forensische Untersuchungen könnten oft den Verdacht, dass man es mit einem Opfer von Menschenhändlern zu tun hat, objektivieren, ohne dass die betroffene Person ausgesagt hat.

Prostitution bleibt eines der Hauptprobleme

Eine weitere Strategie der Ermittler sind „proaktive Erhebungen, ohne dass wir Aussagen eines Opfers habe“, sagte Tatzgern. Ein Beispiel dafür sei die Bettelei: „Wir hatten noch nie einen Bettler bei uns, der gesagt hat: ‚Hallo, ich bin ein Opfer‘.“ Bereits vor drei Jahren habe man in Kooperation mit den rumänischen Behörden Netzwerke untersucht und 17 Leute verhaftet, die in Bukarest „wegen der Ausbeutung von mehr als 100 Bettlern in Österreich“ verurteilt wurden.

Eines der Hauptprobleme ist nach wie vor die Prostitution. Rund 6000 Sexarbeiterinnen gehen in Österreich offiziell ihrem Gewerbe nach, dazu kommt eine ganze Reihe illegal tätiger Prostituierter. Nach Schätzungen dürfte es hierzulande insgesamt 10.000 Sexarbeiterinnen geben. Nur ein verschwindend geringer Anteil sind Männer. Dabei gilt Tatzgern zufolge nicht die Formel, dass illegale Prostituierte Menschenhandel-Opfer sind, registrierte aber nicht. „Wir haben Frauen, die jede Woche zur Kontrolle gehen. Zum Beispiel gibt es viele Nigerianerinnen, die offiziell dem Job nachgehen. Ich würde sagen, das sind alles Opfer.“

Aufenthaltsrecht für Opfer verbessern

Skeptisch zeigte sich Tatzgern zu Verbesserungen im Fremdenrecht für Opfer von Menschenhändlern, wie sie etwa die Grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun am Montag vorschlug. Opfer von Menschenhandel hätten zu große Angst auszusagen, weil sie im Falle der Abschiebung mit oft lebensgefährlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. „Um eine effiziente Verfolgung der Täter einerseits und einen ernst zu nehmenden Opferschutz andererseits zu gewährleisten, muss das Aufenthaltsrecht der Opfer verbessert werden. Zum Beispiel über eine garantierte einjährige Bedenkzeit, wie wir das auch schon 2011 in einem parlamentarischen Antrag gefordert hatten“, erklärte Korun.

Die Frage für Tatzgern in diesem Zusammenhang wäre aber, was geschehen würde, wenn die Justiz letztlich erkennen würde, dass es sich gar nicht um ein Opfer handelt. „Das Gesetz soll in diesem Fall nicht zu hart und nicht zu weich sein, sondern es soll treffsicher sein.“ Justizministerin Beatrix Karl (V) wies diesbezüglich in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des SPÖ-Mandatars Johann Maier darauf hin, dass es eine Reihe von Opferschutz- und Unterstützungsmaßnahmen wie die Anonyme Aussage, den Anspruch auf Prozessbegleitung und die Kontradiktorische Vernehmung in der Strafprozessordnung (StPO) gebe. (APA)

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