Miguel Herz-Kestranek

„Gerade Schlechtes muss man sehr gut machen“

Miguel Herz-Kestranek spricht über die Schwierigkeit seiner Liebe zu Österreich, über das Verblödungs-Medium Fernsehen und vermeintlichen Schauspieler-Wohlstand.

„Ich bin kein Künstler, ich bin ein Könner“, sagen Sie von sich selbst. Schließt das eine denn das andere aus?

Miguel Herz-Kestranek: Nein, aber was man beim Schauspieler als Künstler bezeichnet, ist oft Aura, Persönlichkeit, vielleicht etwas in der Stimme. Die Hauptsache ist Können – und da ist stets Luft nach oben. Ich glaube nicht, dass Robert de Niro am Abend sagt „Heute hab’ ich gute Kunst gemacht“, sondern „I did a good job“. Mit Künstlerschaft hat das nix zu tun, umso mehr, als Schauspieler vornehmlich unfrei und fremdbestimmt sind.

Wie ist das zu verstehen?

Herz-Kestranek: Man spielt, was man nicht geschrieben, bei dem man weder Ausstattung noch Licht noch Musik gemacht hat, bei dem Programmheft und Dramaturgie nicht von einem stammen und ein anderer Regie führt. Was bleibt? Text aufsagen – mit viel Können.

Warum sind Sie dann Schauspieler geworden?

Herz-Kestranek: Warum man Schauspieler wird, hat die vielseitigsten Gründe. Viel liegt in der Psyche – man sucht unbewusst dieses Ventil, um seine Neurosen auszuleben. Ich hab mir diesen Beruf schon sehr früh eingebildet – aber ich hatte als junger Mensch keine Ahnung davon. Wenn ich zurückdenke an meine ersten Schauspielerjahre, kann ich mich bei kaum einer Rolle erinnern, wie ich sie gespielt habe, so ahnungslos war ich damals. Wirklich können tu ich das Ganze erst seit ein paar Jahren.

Was bedeutet Ihnen Ihr Beruf?

Herz-Kestranek: Für mich ist die Schauspielerei nicht mehr die Hauptsache. Das klingt, als ob ich es nicht ernst nehmen würde. Im Gegenteil. Ich lebe davon und mache es mit Können und Disziplin, denn damit man mich wieder für eine Rolle verpflichtet, muss ich eben sehr gut sein. Aber mein Herz hängt nicht mehr so dran. Ich fühle mich immer mehr als schauspielernder Schriftsteller. Wobei: Jetzt bei „Anatevka“ ist das schon anders. Vor allem wenn Musik dabei ist, wird mein Herz aufgesperrt. Sprechtheater ist ja oft nur kopfig und beim Fernsehen geht’s meist nur um Routine.

Von Ihnen stammt das Zitat: „Als Fernsehschauspieler führe ich oft ein Doppelleben: Am Tag drehe ich fürs Fernsehen, am Abend bin ich intelligent.“ Ist oder macht Fernsehen blöd?

Herz-Kestranek: Fernsehen ist ein hochpolitisches Ding – die Information ist zur Manipulation des Publikums da, die Unterhaltung zur Verblödung und Ruhigstellung. Mit dem technischen Terminus „Flachbildschirm“ ist das Medium Fernsehen aber gut beschrieben.

Trotzdem tauchen Sie regelmäßig in diesem Medium auf – bis heute haben Sie rund 170 Fernsehrollen gespielt. Des Geldes wegen?

Herz-Kestranek: Ja. Wobei das bei Künstlern allgemein immer als so schnöde angesehen wird, die sollen ja gefälligst für die Kunst leben. Die Folge dieses heuchlerischen Kunstgetues ist übrigens eine extrem künstlerfeindliche österreichische Gesetzgebung, von fehlender Künstlersozialversicherung bis zu Leistungsschutzrechten und vielem mehr. Gerade weil ich etwas für Geld tue, muss ich mir ja genauer als der Dilettant, der Liebhaber, überlegen, was, warum und wie ich es mache. Wobei man nicht viel Spielraum hat, wenn man jeden Monat Miete, Kredit, Benzin, Milch und Brot zahlen muss. Also muss ich auch hier, um wieder genommen zu werden, supergut sein. Wenn ich trivialen Müll drehen muss, dann schreib’ ich mir die Gage eben auf die Handinnenfläche und schau immer drauf. Trotzdem mache ich nichts „mit der linken Hand“. Gerade Schlechtes muss man sehr gut machen, sonst wird’s noch schlechter.

Schauen Sie sich den „Müll“ dann auch an?

Herz-Kestranek: Ja, weil ich kontrolliere, ob ich in diesen trivialen Situationen mit den schwachsinnigen Texten trotzdem glaubhaft war und dabei lerne ich viel fürs nächste Mal.

In ORF-Produktionen sieht man Sie sehr selten. Wie kommt’s?

Herz-Kestranek: Ich habe beim ORF quasi Auftrittsverbot. Ich drehe seit Jahren so gut wie in keiner österreichischen Produktion. Wahrscheinlich bin ich nicht gut genug für den ORF, nur international ...

Erfüllt Sie das mit Groll?

Herz-Kestranek: Nein, es tut mir nur leid, weil ich gern in meiner Muttersprache arbeite. International drehe ich meist englisch und auch in Deutschland in einer Fremdsprache. Eine Überheblichkeit des deutschen Fernsehens ist ja die Behauptung, das verschluderte TV-Kauderwelsch sei Hochdeutsch und spricht ein Österreicher Hochdeutsch, ist das Dialekt. Ostmark und Anschluss wurden allerdings schon lange rückgängig gemacht und das wäre langsam zur Kenntnis zu nehmen. Mittlerweile ist es aber beim Theater genauso. Wer heute ein Schnitzler- oder Nestroy-Stück mit österreichischen Schauspielern besetzt, gilt beim Feuilleton als vorgestrig und altmodisch.

Neben der Schauspielerei sind Sie auch als Schriftsteller und Herausgeber tätig, machen unzählige Soloprogramme, verfassen politische Kommentare, sind Gesprächsleiter, Moderator und Redner und stecken hinter einer umfangreichen Schüttelreim-Website. Gibt es Momente, in denen Sie nichts machen?

Herz-Kestranek: Ich fange jetzt langsam an zu lernen, gar nichts zu tun – stundenweise –, aber nach wie vor mit tödlich schlechtem Gewissen.

Sind Sie ein rastloser Geist?

Herz-Kestranek: Ich bin gerade 65 geworden und kann’s gar nicht glauben. Wie oft denke ich, dass Dinge ja noch Zeit haben, bis ich irgendwann einmal älter bin. Und wenn mir dann einfällt, dass mein Leben, wenn’s normal geht, in zehn, maximal zwanzig Jahren aus ist, dann reißt’s mich schon manchmal. Ich bräuchte noch gut 40 bis 50 Jahre, um alles zu machen, was mich interessiert.

Ihren 65. Geburtstag haben Sie am Tiroler Landestheater gefeiert, wo Sie ab 11. Mai den Tevje in „Anatevka“ spielen. Wie gefällt’s Ihnen in Innsbruck?

Herz-Kestranek: Ich muss sagen, dass mir hier am Haus mit einer unglaublichen und nie erlebten Herzlichkeit begegnet wird. Hier strotzt’s nur so vor positiver Energie. Ich fühle mich auch deswegen so wohl, weil es kein großes Brimborium um mich gibt und kein falsches Getue.

Das berühmteste Lied in „Anatevka“ ist Tevjes „Wenn ich einmal reich wär“. Was bedeutet Ihnen Wohlstand?

Herz-Kestranek: Ich war seit 1979 in keinem fixen Engagement, arbeite also seit über 30 Jahren ohne Netz und es gibt nach wie vor lange Strecken, in denen weit und breit keine Arbeit kommt. So bin ich auch immer wieder selbst Produzent und Veranstalter geworden und habe Theater für Eigenveranstaltungen gemietet. Ich darf gar nicht an mein Alter denken, weil dann würde ich keine Nacht mehr ruhig schlafen. Ich arbeite halt, bis ich tot bin.

Das kann man sich schwer vorstellen. Sie müssen doch im Laufe Ihrer Karriere so einiges angespart haben ...

Herz-Kestranek: Fernsehgagen mit zum Beispiel ein paar tausend Euro pro Drehtag klingen toll. Gibt’s aber in einem guten Jahr 20 bis 30 Drehtage und rechnet man Steuer und Agentur ab, sieht das schon wieder anders aus. Und es gibt viele Jahre, in denen man die Drehtage an zwei Händen abzählen kann. Es gibt Tausende Schauspieler und viele sind gut. Ich habe einen Teil meines Elternhauses geerbt und einen Teil gekauft. Wenn ich das wieder verkaufen würde, hätte ich eine gewisse Sicherheit. Aber das sind meine Wurzeln, die ich nicht aufgeben kann.

Ihre Familiengeschichte hängt eng mit dem Thema Exil zusammen. Ihre Mutter und Ihr Vater stammten aus jüdischen Familien, die nach dem „Anschluss“ ihre Heimat verlassen mussten ...

Herz-Kestranek: Sowohl mein österreichischer Vater als auch meine deutsche Mutter gingen nach Südamerika ins Exil. Beide waren dort verheiratet, als sie einander gegen Ende des Krieges in Montevideo nicht nur kennen, sondern auch lieben lernten. Sie haben sich dann beide scheiden lassen, sind gemeinsam nach St. Gilgen zurückgekehrt und haben geheiratet. Kurz danach ließen aber auch sie sich wieder scheiden: Das Verbindende des Exils hat sich zuhause offenbar als nicht genug haltbar erwiesen.

Trotzdem sind Sie das Zeugnis dieser Liebe im Exil, auch Ihr exotischer Vorname erinnert daran. Rührt Sie Ihre Familiengeschichte?

Herz-Kestranek: Hilde Spiel hat einmal geschrieben: „Exil ist eine vererbbare Krankheit.“ Und ich habe diese Krankheit tatsächlich geerbt, mir ist das Exil zum Lebensthema geworden.

Trotz dieser erblichen Belastung haben Sie Österreich nie verlassen. Wie kommt’s?

Herz-Kestranek: Thomas Bernhard hat einmal gesagt: „Ich hab’ mein Herz an Österreich gehängt. Und da hängt’s jetzt und blutet.“ Auch ich hab’ mein Herz an Österreich gehängt, alle meine 13 Bücher handeln von meiner Heimat, die ich liebe. Aber ich habe eben auch so meine Schwierigkeiten mit dieser Liebe. Trotzdem ich vor allem ein glühender Europäer bin – ich nenne mich einen österreichischen Europäer –, bedeutet mir Österreich sehr viel. Insofern ist es schon schade, dass ich hier so wenig arbeiten kann.

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