„Mama“

Schwarze Pädagogik im dunklen Horrorparadies

Jessica Chastain, die sonst nur esoterische Schönheiten spielt, kämpft in „Mama“ um die Liebe von zwei Waisen, die in der Geisterwelt leben.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Für das Hinübergleiten von der Wirklichkeit in die Welt des Wahns hat Stanley Kubrick vor über 30 Jahren in „Shining“ die aufregendste Form gefunden. Fliegend verfolgt die Kamera einen VW-Käfer durch ein Gebirgstal. Dazu ist der Hexensabbat von Hector Berlioz zu hören. Diese Sequenz zitiert der Argentinier Andres Muschietti in seinem Kinodebüt „Mama“. Statt der elektronischen Fassung von Wendy Carlos nutzt er eine überorchestrierte Version von Fernando Velázquez. Das Auto lenkt Jeffrey (Nikolaj Coster-Waldau), den die Börsenkrise in den Wahnsinn getrieben hat. Nach einem Amoklauf mit mehreren Toten hat er seine Ex-Frau erschossen und die beiden Kinder entführt. Victoria (Megan Charpentier) und Lilly (Isabelle Nélisse) fürchten sich auf der Rückbank. Als Jeffrey den Revolver am Kopf Victorias ansetzt, schleudert ihn ein Schatten in die Dunkelheit.

Annabel (Jessica Chastain) nähert sich ängstlich einem Schwangerschaftstest, der Zeichner Lucas (ebenfalls Nikolaj Coster-Waldau) arbeitet nebenan und denkt sich nichts über den Jubel der Erleichterung. Jeffreys Bruder und seine Lebensgefährtin, die in einer Rockband singt, sind nicht gerade verrückt nach Kindern. Trotzdem haben sie die Suche nach den beiden Mädchen finanziert, aber nach fünf Jahren sind Hoffnungen und Mittel erschöpft. Zwei Detektive verfolgen noch eine letzte Spur und finden in einer Waldhütte verschmutzte Wesen, die sich wie Spinnen bewegen. Es sind Victoria und Lil­ly, die während der vergangenen Jahre von einem Geist betreut wurden und sich von Nüssen ernährt haben. Für die Zivilisation sind die Mädchen scheinbar verloren und der wissenschaftlichen Forschung sind gesetzliche Grenzen gesetzt. So kommen Anna­bel und Lucas als Betreuer ins Spiel. In einer Villa des Institutes sollen sie die Mädchen betreuen und dem ehrgeizigen Psychiater Dr. Dreyfuss unbegrenzten Zugang garantieren. Es ist die größere Victoria, die bei Annabel eine morbide Verwandtschaft entdeckt, denn die schwarz lackierten Fingernägel und die von Tätowierungen verzierte Alabasterhaut der Musikerin erweckt eine vage Sympathie. Es ist einer der großen Momente in „Mama“, wie Jessica Chastain, die sonst nur als esoterische Schönheit zu sehen ist, diesen Moment der Entdeckung eines Gefühls und den damit verbundenen Schrecken spielt.

Die Schwäche des Films sind die Gruseleffekte, die der Geist, die Ziehmutter der Kinder, also Mama, liefern soll. Mama hat sich einst (in einer Rückblende) getötet, nachdem ihr Kind von Nonnen geraubt wurde. Seither greift sie in fremden Häusern in die Erziehung verängstigter Kinder ein. Für die Mädchen ist die schwarze Pädagogik ein Horrorparadies. Dementsprechend inszeniert Andres Muschietti auch das computergenerierte Finale als Höllenfahrt, bei der zwei Mütter um die Liebe von Kindern kämpfen. Daher wurde „Mama“ in den US-Kinos zum Horrorhit des Jahres.

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