Reise

Harry Potter und die magische Piratenstadt

Mystisch, prachtvoll und marode: Man munkelt, Porto sei der „Geburtsort“ von Harry Potter. Doch die heimliche Hauptstadt Portugals hat nicht nur für Fans des kleinen Magiers viel zu bieten.

Von Judith Sam

Porto –Langsam wird es dunkel in Porto. Während das geschäftige Treiben in den historischen Straßen verebbt, sammeln sich immer mehr eigenartig gekleidete Gestalten auf dem Stadtplatz. Die in schwarze, ärmellose Capes Gehüllten umzingeln farbenfroh gekleidete Jugendliche. Deren laute Schreie hallen durch die Nacht. So mancher Tourist bleibt irritiert stehen und zögert, ob er eingreifen soll.

Doch die Reiseleiterin Catarina Plácido, die schon seit mehr als 40 Jahren in Porto wohnt, winkt gelassen ab: „Ich gebe zu, das Ganze erinnert im ersten Moment an gruselige Szenen aus den berühmten Harry-Potter-Romanen. Aber keine Sorge, es handelt sich um ein ungefährliches altes Ritual aus Porto.“ Die schwarz Gekleideten, die aussehen wie junge Magier, sind Studenten in traditioneller Uni-Kluft. Das wirre Treiben ist ein Initiationsritus. Die Studienanfänger müssen Aufgaben lösen, um an der Universität willkommen geheißen zu werden.

Doch nicht nur dieses bizarre Schauspiel schürt den Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen Harry Potter und Porto gibt: Die verschlungenen Gassen, die zahllosen Cafés im Jugendstil, mit Holzvertäfelungen und geschwungenen, knarrenden Wendeltreppen punkten mit typischem Potter-Charme. Plácido weiß, was sich hinter diesen Ähnlichkeiten verbirgt: „Joanne Rowling, die Potter-Autorin, lebte viele Jahre in Porto, um Englisch zu unterrichten. Man munkelt, dass sie hier nicht nur die Idee zu dem jungen Magier geboren, sondern auch die ersten Kapitel verfasst hat.“

Doch Plácido weiß nicht nur das, sondern auch, wo Rowling diese berühmten Zeilen niederschrieb: „Sie hielt sich meist im ‚Café Majestic‘ in der Rua da Santa Catarina und dem kleinen Café im Geschäft ‚Livraria da Lello e Irmão‘ auf, das mehrfach zu einer der schönsten Buchhandlungen der Welt gewählt wurde.“ Ein Besuch dieser beiden Häuser – in der von der Unesco 1996 zum Weltkulturerbe ernannten Altstadt – macht deutlich, wieso Rowling ihre Kreativität hier schweifen lassen konnte.

Das knapp 90 Jahre alte „Café Majestic“ in Portos schönster Einkaufsstraße ist ein pompöses, denkmalgeschütztes Lokal im Jugendstil. Die unzähligen Schnörkel, Luster und Holzvertäfelungen sind eine Augenweide – die allerdings ihren Preis hat: Ein Kaffee kostet stattliche 3,25 Euro. Hier habe Rowling den Grundstein zu ihrem heutigen Reichtum gelegt. Damals noch mit gewissen Opfern verbunden: Denn das Café ist auch im Winter nicht beheizt.

Angenehm warm ist es hingegen in der „Livraria da Lello e Irmão“. Kaum hat man sie betreten, fühlt man sich wie in eine mystische Magierwelt versetzt. Kein Wunder, dass dieses bezaubernde Geschäft als Drehort für die Filmszene verwendet wurde, in der Potter seinen ersten Zauberstab kauft. Doch ob trotz all der Berühmtheit der kleinen „Bücherkathedrale“ der Umsatz stimmt, ist fraglich. Denn die Besucher geben meist nur vor, nach Büchern zu stöbern. Sie nutzen die Zeit vielmehr, um staunend die opulente Wendeltreppe, die schillernden Fenster und die kunstvoll verzierten Holzwände zu bewundern.

„Rowling zog nach dem Tod ihrer Mutter 1991 nach Porto. Heute erzählt sie jedoch nichts über ihre Zeit in Portugals zweitgrößter Stadt“, schildert Plácido. Da gilt es natürlich zu klären, was der Grund für ihr Schweigen ist. „Man weiß es nicht genau“, plaudert die Portugiesin: „Aber ich vermute, es war die Kombination aus unglücklicher Liebe und ihrer Schwiegermutter.“ Die quirlige Portugiesin grinst vielsagend.

Rowling habe 1992 in der „Disco Meia Cava“ im Hafenviertel Ribeira den portugiesischen Fernsehjournalisten Jorge Antares kennen gelernt, sich verliebt und sei recht überstürzt zusammen mit ihm zu seiner Mutter gezogen. Rowlings erste Schwangerschaft ging bereits mit einigen Streits mit der angeheirateten Familie einher. Genauso wie diese Ehe gibt es heute die „Disco Meia Cava“ nicht mehr – doch in Portos angesagter Amüsiermeile am Ufer des Douro-Flusses, der vom Landesinneren in den Atlantik fließt, werden genügend Ausgeh-Alternativen geboten.

Doch man muss kein Potter-Fan sein, um Portos spröden Charme zu lieben. Denn auch abseits der Rowling-Pfade hat die 300.000-Einwohner-Stadt, die 2001 europäische Kulturhauptstadt war, viel zu bieten. Sie soll laut alten Erzählungen sogar für den Namen des Landes verantwortlich sein: Aus dem Wort „Portus“ (Hafen) und „Cale“ (gegenüberliegende Siedlung) wurde erst Portucale und später Portugal. „Diese Erzählung stimmt sicher“, bekräftigt die Reiseführerin mit einem patriotisch selbstbewussten Lächeln: „Denn Porto war früher noch viel bedeutender für das Land als heute.“ Zur Zeit der Kreuzzüge etwa habe ein reger Portweinhandel begonnen, der Porto reich, berühmt, teuer und sehr exklusiv machte. Dieser Ruhm habe lange angehalten: „Zahlreiche weltberühmte Architekten standen regelrecht Schlange, um sich in Porto verewigen zu dürfen.“ 1875 entwarf etwa Gustave Eiffel, Erbauer des Eiffelturms, die Maria-Pia-Brücke, die als Eisenbahnbrücke über den Douro genutzt wurde.

Heute ist die Situation eine andere. Die Kulisse, die sich von Booten im Douro wohl am besten betrachten lässt, ist gleichermaßen prachtvoll und marode, hochmodern und dem Verfall nahe. „Diese Entwicklung ist auch eine Folge der Wirtschaftskrise – ein Wort, das in Portugal in aller Munde ist“, zieht Plácido ihr Fazit. Denn obwohl immer noch viel Portwein exportiert wird, sei die Stadt zunehmend auf den florierenden Tourismus angewiesen.

„Ein Symptom für die Veränderung Portos ist auch die sinkende Exklusivität der Stadt. Laut Gesetz durften alte Mietverträge etwa lange nicht erhöht werden – daher leben unzählige Mieter in Zwei-Zimmer-Altstadtwohnungen für nur 50 Euro Miete pro Monat. Die Häuser dort sind oft nur wenige Meter breit. Denn früher galt: Je schmaler das Haus, desto weniger Steuern muss man dafür bezahlen“, schildert Plácido. Nur die Mieten für Wohnungen mit Blick auf den Atlantik, der im Westen der Stadt nur zehn Autominuten entfernt liegt, haben österreichische Dimensionen: 40 Quadratmeter kosten zur Miete monatlich etwa 700 Euro.

Heute wolle jeder am Meer leben und zusehen, wie sich hohe Wellen an der felsigen Küste brechen oder Containerschiffe am Horizont vorbeigleiten. Früher habe man das Leben am Meer tunlichst gemieden: „Da Überfälle von Piraten an der Tagesordnung standen.“ Plácido zögert kurz und ergänzt keck: „Von diesen rauen Sitten merkt man heute in der Mentalität der ‚Porter‘ jedoch nichts mehr.“

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