Bub tot, Schwester schwer verletzt: Boston trauert mit Familie Richard
Der Bombenterror von Boston hat eine Familie ganz besonders tragisch getroffen: Der achtjährige Martin ist tot, Mutter und Schwester sind schwer verletzt. „Martin hat immer alle zum Lachen gebracht“, erzählt ein Freund. Ganz Boston trauert nun mit Familie Richard.
Von Christina Horsten, dpa
Boston - Die Magnolien in den sonnenbeschienenen Vorgärten blühen rosa, die Forsythiensträucher gelb und laut singen die Vögel. Es könnten die fröhlichen ersten Frühlingstage im wohlhabenden Bostoner Vorort Dorchester sein - wenn nicht ein im Wind flatterndes neongelbes Band das Bild stören würde. „Boston Police Line Do Not Cross“, steht in großen schwarzen Buchstaben darauf. Die Polizei hat die Gegend um ein mehrstöckiges dunkelblaues Haus mit weißen Fensterrahmen auf der Carruth Street weiträumig abgesperrt, Einsatzwagen stehen an den Zufahrten, Journalisten mit Fernsehkameras drängen sich davor.
In dem dunkelblauen Haus lebt die wohl am schlimmsten von den Bombenanschlägen auf den Bostoner Marathon betroffene Familie: Der achtjährige Martin ist tot, seiner Schwester musste ein Bein amputiert werden und auch die Mutter liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Sie alle wollten den Marathon an der Ziellinie verfolgen - doch dann explodierten die Bomben.
„Wir kämpfen mit unserer Trauer“, ließ Familienvater Bill Richard am Dienstag in einer Mitteilung per E-Mail verbreiten. Dazu ein Foto seines Sohnes Martin, dem jüngsten der mindestens drei Toten der Anschläge: Ein kleiner Junge mit großen braunen Augen, im Trikot des örtlichen Eishockey-Vereins Boston Bruins, der mit seinen kindlich hervorstehenden Schneidezähnen grinsend unter einer Kappe hervorschaut.
Sportbegeistert und immer gut gelaunt - genau so war er, sagen Andres und Alejandro Caldron. Gemeinsam mit ihrem Vater Jose sind die beiden neun Jahre alten eineiigen Zwillinge in die Carruth Street gekommen, um einen Fußball vor das dunkelblaue Haus zu legen. „Damit haben wir immer zusammen gespielt“, sagt Andres. Die braunhaarigen Zwillinge gehen in die vierte Klasse der Schule des Vororts, in der Martin die dritte Klasse besuchte, und waren gut mit ihm befreundet. „Nach der Schule haben wir Fußball gespielt. Und in der Schule haben wir uns immer in der Mittagspause gesehen. Dann hat Martin Witze gemacht und alle zum Lachen gebracht. Er war so lieb - wenn es heiß war und er ein Eis hatte, hat er es immer mit uns geteilt.“
Einen Straßenblock hinter den Dreien gehen währenddessen fast minütlich Menschen zur Eingangstür des gepflegten dunkelblauen Hauses und legen Blumen, Spielzeuge und Zettel nieder. Die Familie Richard sei in der Gegend sehr beliebt, erzählt eine Frau mit Hund, die ihren Namen nicht nennen will. „Die Kinder sind sehr lieb. Ich erinnere mich, dass Martin immer meinen Husky streicheln wollte.“ Nach den Anschlägen trafen sich Freunde und Bekannte der Familie am Montagabend Medienberichten zufolge spontan beim Vorort-Italiener „Tavolo“, um gemeinsam zu trauern.
Straßenuhr angehalten
Nicht weit davon entfernt hat die Gemeinde an einer Kreuzung die Zeiger einer Straßenuhr angehalten und einen schwarzen Trauerflor darumgehängt. Die Uhr zeigt nun ständig zehn vor drei Uhr an, den Zeitpunkt, als die Bomben explodierten. Hunderte Menschen versammelten sich am Dienstagabend (Ortszeit) in einem Park des Viertels, um mit Kerzen und Gesängen dem toten kleinen Jungen zu gedenken. Ursprünglich war die Veranstaltung vor der St. Ann-Kirche geplant gewesen, wo Martin Medienberichten zufolge zur Kommunion gegangen sein soll, aber dort reichte der Platz nicht aus. Ob die Kirche auch selbst etwas organisieren werde, sei noch unklar, sagt der Pfarrer der Gemeinde, der sich nicht weiter äußern will.
Martin habe in jeder Situation einen Witz reißen können, erinnert sich sein Freund Alejandro. „Einmal hat er sein Butterbrot fallen lassen und mit dem Fuß wieder aufgefangen. Dann hatte es ganz viele schwarze Flecken. Wir haben mit ihm gewettet, dass er es nicht mehr isst - aber er hat es doch gegessen, und wir haben alle gelacht.“ Nun müssten sie aber wirklich los, mischt sich sein Vater Jose ein. „Zum Fußballtraining. Das Leben muss weitergehen.“