Defekte Implantate – Lautstarke Proteste bei Prozessauftakt
Weltweit bangen Frauen mit Billig-Brustimplantaten aus Industriesilikon um ihre Gesundheit. Drei Jahre nach Auffliegen des Skandals stehen die Verantwortlichen nun vor einem Strafgericht. Auch 73 Österreicherinnen sind betroffen.
Marseille/Wien - Lautstarke Unmutsbekundungen hat der ehemalige PIP-Chef Jean-Claude Mas am Mittwoch beim Prozessauftakt um den weltweiten Skandal rund um die Billig-Brustimplantate seiner Firma ausgelöst. Als sich der 73-Jährige auf Befragen des Gerichts im südfranzösischen Marseille als vermögenslos bezeichnete und sein monatliches Einkommen mit 1000 Euro bezifferte, machten sich zahlreiche Zuhörer - darunter etliche geschädigte Frauen - mit abfälligen Zwischenrufen bemerkbar. Das Gericht drohte, den zu einem Gerichtssaal umfunktionierten Kongresssaal räumen zu lassen, sollten sich die tumultartigen Szenen wiederholen.
Mehr als 5000 Betroffene klagten
Mas muss sich zusammen mit vier früheren Angestellten, die sich ebenfalls als vermögenslos erklärten, wegen des Vorwurfs der schweren Täuschung und des Betrugs verantworten. 5250 betroffene Frauen hatten sich der Klage angeschlossen, darunter 73 Österreicherinnen.
Der heute 73-Jährige hatte im Polizeiverhör gestanden, seine Silikon-Einlagen mit einem billigen Industriegel gefüllt und die Kontrolleure des TÜV getäuscht zu haben. Er versicherte aber, die Einlagen seien nicht gesundheitsschädlich.
Rund zehn Jahre lang hatte Mas weltweit hunderttausende seiner Billig-Implantate verkauft, vor allem in Südamerika, Großbritannien, Spanien und Frankreich. Die Billig-Silikoneinlagen rissen schneller und werden für Entzündungen verantwortlich gemacht. Bisher konnte aber nicht bewiesen werden, dass auch eine Reihe von Krebsfällen bei Frauen auf die Implantate zurückgehen. Die Gesundheitsbehörden mehrerer Länder hatten die Frauen ab Ende 2011 aufgerufen, sich die Einlagen vorsichtshalber wieder herausoperieren zu lassen.
Unklar, wer Opfer entschädigen soll
Mehrere hundert Klägerinnen fanden sich zu Verhandlungsbeginn persönlich in Marseille ein, um erstmals dem PIP-Firmengründer gegenüber stehen zu können, der ihnen im Polizeiverhör vorgeworfen hatte, sie würden nur „wegen des Geldes“ klagen. Unklar ist, wer die Opfer entschädigen soll, denn die südfranzösische Firma PIP ist seit 2010 pleite. Für allfällige Schadenersatzforderungen gegen Mas ist seine vermögensrechtliche Situation nicht unmaßgeblich - daher der Protest der Geschädigten gegen seine Behauptung, kein Vermögen zu besitzen. Mas hatte bis zu seiner Inhaftierung im März 2012 in einer luxuriösen Villa in der Nähe der südfranzösischen Stadt Toulon gelebt. Mittlerweile befindet er sich gegen Hinterlegung einer Kaution wieder auf freiem Fuß.
Die 47-jährige Angela Mauro aus dem ostfranzösischen Metz, die zum Prozess nach Marseille reiste, hatte sich die PIP-Einlagen 2003 nach einem Gewichtsverlust infolge eines Magenproblems einsetzen lassen. Die Einlagen rissen zweimal, sie hatte mit Gesundheitsproblemen, Arbeitsausfällen und einem Arbeitswechsel zu kämpfen. „Ich erwarte, dass wir als Opfer angesehen werden und nicht nur als Frauen, die sich Prothesen einsetzen lassen wollten“, sagte sie der AFP.
Etwa 300 Anwälte vertreten Klägerseite
Die Klägerseite wird durch etwa 300 Anwälte vertreten. Zudem sind 200 Journalisten aus verschiedenen Ländern, darunter auch aus Deutschland und Österreich, akkreditiert. Diese mussten das Prozessgeschehen in einem Nebenraum verfolgen, wo die Verhandlung über Bildschirme live übertragen wurde. Die Halle in dem Kongresszentrum, in das die Verhandlung wegen des regen öffentlichen Interesses verlegt werden musste, bot Platz für rund 700 Zuhörer. Sitzgelegenheiten im umfunktionierten Gerichtssaal blieben den Anwälten und den geschädigten Frauen vorbehalten.
Kurz vor Beginn des Prozesses hatte Mittwochfrüh der Kassationsgerichtshof in Paris einen Antrag von Verteidigern auf Vertagung des Prozesses wegen Zweifeln an der Unparteilichkeit des Gerichtes abgewiesen. Zum Prozessauftakt legten die Verteidiger dem Gericht eine Reihe von Anträgen auf Ungültigkeit des Verfahrens vor. So wurde neuerlich die angebliche Befangenheit des Gerichts behauptet. Die Rechtsfragen waren bis zur Mittagszeit noch nicht geklärt, so dass die inkriminierten Vorwürfe vorerst nicht erörtert werden konnten.
Der Prozess soll bis zum 17. Mai dauern. Mas und den vier anderen Angeklagten drohen bis zu fünf Jahre Haft. Gegen Mas laufen in Frankreich noch zwei andere Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung sowie wegen betrügerischen Bankrotts. (APA)