Bombenanschlag in Boston

Spur fehlt: 1000 Boston-Ermittler gehen „bis ans Ende der Welt“

Drei Tote, 180 Verletzte, zwei Bomben, 2000 Hinweise, aber noch keine heiße Spur: Nach dem Terroranschlag von Boston suchen 1000 Ermittler weiter den entscheidenden Hinweis auf die Täter. Neue Spuren könnten die Fotos und Videos der vielen tausend Zuschauer zeigen. Eine Mammutaufgabe.

Boston - Auch knapp zwei Tage nach dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon haben die Ermittler noch keine heiße Spur zum Täter. Es gebe weder Bekennerschreiben noch Verdächtige, teilten die Behörden mit. Ein Puzzleteil, das möglicherweise einen entscheidenden Hinweis geben könnte, wurde nun gefunden: Auf einem Hausdach in der Nähe des Tatorts entdeckten die Ermittler den Deckel jenes Schnellkochtopfs, in dem einer der beiden Sprengsätze detonierte. Das meldete der Nachrichtensender CNN am Mittwoch. Der Deckel könnte wichtige Hinweise auf die Herkunft der Bombe liefern. Die Überreste der Sprengsätze - offenbar zu Splitterbomben umgebaute Schnellkochtöpfe - wurden am Mittwoch in einem FBI-Speziallabor untersucht. In Washington wurde in einem Brief an einen US-Senator lebensgefährliches Rizin entdeckt. Es war unklar, ob es einen Zusammenhang mit Boston gibt.

Bomben per Eieruhr gezündet?

Die Ermittler veröffentlichten Fotos, auf denen Reste von Zündvorrichtungen, Nägel und Kugeln sowie die verbogenen Überreste eines Behälters zu sehen sind. Nach Angaben von FBI-Ermittlungsleiter Richard DesLauriers wurden auch schwarze Nylon-Gewebestücke sichergestellt, die vermutlich von einem Rucksack stammten, in dem die Splitterbombe abgestellt worden sei. Anleitungen für den Bau solcher Bomben seien im Internet zu finden.

Wie die „New York Times“ am Mittwoch unter Berufung auf einen Behördensprecher berichtet, sollen die Bomben nicht ferngezündet worden sein, sondern mithilfe üblicherweise in der Küche benutzter Eieruhren. Hunderte Spurensucher sind derzeit damit beschäftigt, Bombenreste und Fragmente am Tatort zu sichern und zu analysieren

Ärzte: Metallkugeln und Nägel herausoperiert

Chirurgen mehrerer Krankenhäuser berichteten, sie hätten Verletzten Metallkugeln und Nägel herausoperieren müssen. Klinikmitarbeitern zufolge wurden mindestens zehn Opfern Gliedmaßen amputiert. Am Mittwoch schwebten noch 17 Verletzte in Lebensgefahr. Bei dem Anschlag am Montagnachmittag (Ortszeit) waren drei Menschen getötet und 175 weitere verletzt worden. Bis Dienstagabend wurden alle drei Todesopfer identifiziert. Neben dem achtjährigen Martin Richard wurden eine 29-jährige Restaurantangestellte sowie eine chinesische Studentin getötet.

Nach bisherigem Erkenntnisstand seien beide Sprengsätze mit schwarzen Nylon-Taschen oder Rucksäcken an die Explosionsorte gebracht worden, sagte DesLauriers. Er berichtete, dass allein in Boston ein 1000-köpfiges Team rund um die Uhr im Einsatz sei. Allein bis Dienstag seien 2000 Hinweise eingegangen. DesLauriers rief die Bürger weiter zu Mithilfe auf. Zugleich betonte er, dass die Ermittlungen weltweit geführt würden. Man werde „bis ans Ende der Welt“ gehen, um die Täter zu finden, sagte er.

Fehlalarme auf Flughäfen

In allen amerikanischen Großstädten gelten seit dem Anschlag vom Montag erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. In New York wurde am Dienstag ein Räumkommando wegen eines verdächtigen Pakets zum Flughafen La Guardia geschickt. Auf dem Flughafen von Boston wurde das Gepäck von zwei Passagieren aus einem Flugzeug geholt. Beide Fälle erwiesen sich als Fehlalarm.

Ermittler sprachen von einem breiten Spektrum möglicher Motive. Es sei auch unklar, ob es sich um einen oder mehrere Täter gehandelt habe. Der Zeitpunkt des Angriffs spreche für einheimische Extremisten, die einen mächtigen Staat ablehnten. Am Montag wurde in Massachusetts der Patriots‘ Day begangen, der an den Unabhängigkeitskrieg erinnert. Am 15. April läuft in den USA zudem die Frist für die Abgabe der Steuererklärung ab. Steuern sind für einige amerikanische Extremistengruppen ein Reizthema.

„No more hurting people. Peace“

Hunderte Menschen gedachten am Dienstagabend (Ortszeit) in Boston der Opfer. Mehr als 1000 Menschen versammelten sich in einem Park nahe Martin Richards Haus zu einer Kerzenwache. Auch an anderen Orten in Boston kamen Menschen zum Gedenken zusammen. Die Familie des Buben wurde besonders schwer getroffen: Die Mutter erlitt ernsthaft Hirnverletzungen, die kleine Schwester verlor ein Bein. Anders als bisher berichtet, lief der Vater nicht beim Marathon mit. Die ganze Familie wollte nur den Zieleinlauf der Teilnehmer sehen. Zahlreiche Internetnutzer veröffentlichten ein Foto des Achtjährigen, der auf einer Friedenskundgebung ein Plakat mit der Aufschrift „No more hurting people. Peace“ (Verletzt keine Menschen mehr. Frieden.) in die Höhe hielt. US-Präsident Barack Obama wollte am Donnerstag in Boston bei einem Gottesdienst für die Opfer eine Rede halten.

Die Organisatoren des am Sonntag stattfindenden London Marathons forderten die Menschen auf, das Rennen zu unterstützen. Vor Beginn des Laufs soll es eine Schweigephase von 30 Sekunden geben, zudem wurden die Läufer aufgefordert, schwarze Schleifen zum Gedenken an die Opfer von Boston zu tragen.

Gift-Brief an US-Senator

In Washington wurde ein Brief an den republikanischen Senator Roger Wicker abgefangen, der nach ersten Erkenntnissen Spuren des tödlichen Pflanzengifts Rizin (Ricin) enthielt. Allerdings seien die ersten Tests nicht eindeutig, so dass weitere Untersuchungen abgewartet werden müssten. Ob ein Zusammenhang mit dem Anschlag von Boston bestehe, könne derzeit noch nicht gesagt werden, erklärte der Vizefraktionschef der Demokraten im Senat, Richard Durbin. Der Vorfall erinnert an die Briefe mit Milzbrand-Erregern, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Kongress auftauchten.

Rizin ist in den Samenschalen der Rizinusstaude enthalten und gilt als einer giftigsten Eiweißstoffe, die in der Natur vorkommen. Schon geringste Mengen können tödlich sein. Bekannt wurde das Gift durch den Anschlag auf den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markow. Markow wurde 1978 in London auf offener Straße von einem Passanten mit einer Regenschirmspitze gestochen und starb an den Folgen einer Rizin-Vergiftung.

Was wir vom Bostoner Anschlag wissen

- Todesopfer: Bei dem Anschlag wurden drei Menschen getötet. Es handelt sich um den achtjährigen Martin Richard, der mit seiner Mutter und zwei Geschwistern an der Zielgeraden auf seinen Vater gewartet hatte, der bei dem Marathon mitlief; die 29-jährige Krystle Campbell und eine chinesische Studentin, die die Boston University besuchte. Ihre Familie hat um Anonymität gebeten.

- Verletzte: Mehr als 180 Menschen wurden verletzt, unter ihnen auch die Mutter des achtjährigen Martin Richard und dessen sechsjährige Schwester, der ein Bein amputiert werden musste. Wie der US-Sender CNN unter Berufung auf Ärzte berichtete, erlitten mindestens 13 Menschen so schwere Verletzungen, dass ihnen Gliedmaßen abgenommen werden mussten. Laut CNN sind inzwischen mehr als 100 Menschen wieder aus den Krankenhäusern entlassen worden.

- Bomben: Es handelt sich um zwei Bomben, die in dunklen Nylontaschen oder Rucksäcken in der Nähe der Ziellinie des Marathonlaufes abgestellt waren und im Abstand von zwölf Sekunden detonierten. Zumindest einer war ersten Ermittlungen zufolge aus einem einfachen, handelsüblichen Schnellkochtopf hergestellt, der mit Nägeln, Metallkugeln und Schwarzpulver gefüllt war. Ob auch der zweite Sprengsatz in einem Schnellkochtopf platziert war, ist noch unklar, teilte das FBI in einer Presseinformation mit. Es gebe noch nicht genügend Beweise für eine solche Annahme. Sprengsätze dieser Art wurden bereits früher bei Anschlägen verwendet, Anleitungen zum Bau finden sich im Internet.

- Tatverdächtige: Bislang haben die Ermittler noch keine heiße Spur. Die Bandbreite möglicher Täter und Motive sei groß, sagt das FBI. CNN meldete am Dienstagabend unter Berufung auf das Pentagon, bislang gebe es keine Hinweise auf das Terrornetzwerk Al-Kaida oder eine andere ausländische Gruppe. Einen als Zeugen vernommenen Mann aus Saudi-Arabien stufen die Ermittler nicht als tatverdächtig ein. Der Student war bei der Explosion verletzt worden und wollte wegrennen. Er gab an, er habe einfach Angst gehabt.

- Ermittlungen: Die Polizei hat mehr als 1000 Ermittler aus 30 Bundesstaaten zusammengezogen, um Spuren auszuwerten. Dazu zählen nicht nur die Überreste der Bomben, sondern auch all die Fotos und Videos, die während des Marathonlaufes entstanden. Zudem müssen zahlreiche Augenzeugen befragt und Tipps verfolgt werden. Bereits bis Mittwoch sind mehr als 2000 Hinweise aus der ganzen Welt bei den US-Behörden eingegangen. (APA/Reuters/dpa/AFP)

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