Gesellschaft

Franziskus der Unberechenbare

Papst Franziskus setzt bereits kurz nach seiner Wahl im Großen wie im Kleinen neue Maßstäbe im Vatikan. Das macht ihn für viele auch in der Kurie zum Hoffnungsträger.

Von Christoph Mair

Rom –Vor rund einem Monat gewählt hat sich Papst Franziskus in römischen Kirchenkreisen bereits einen Namen gemacht: Als ein Pontifex, der sehr gerne telefoniert. Erst kurz im Amt wählte Franziskus, selbst Jesuit, die Nummer des Hauptsitzes seines Ordens nur wenige hundert Meter vom Vatikan entfernt. Er meldete sich an der Pforte mit dem Wunsch, den Jesuitengeneral zu sprechen. „Unser Mitbruder glaubte zunächst an einen Scherz und wollte schon antworten ‚hier ist Napoleon‘“, erzählt der gebürtige Südtiroler Pater Severin Leitner bei einem Besuch österreichischer Journalisten mit Innsbrucks Bischof Manfred Scheuer in Rom.

Für den Chef des päpstlichen Kulturrates, Kardinal Gian­franco Ravasi, bricht Papst Franziskus mit diesen Telefonaten, mit denen er bereits mehrere kirchliche Stellen überraschte, „die Unnahbarkeit auf“. Der Heilige Vater sei eine sakrale Figur. Wenn er zum Hörer greife, werde er Mensch. Beim neuen Papst würden das Subjekt und die Botschaft zusammenpassen. „Benedikt XVI. ging von oben aus, von den Prinzipien. Franziskus versucht über seine Volkstümlichkeit hinauf zu den großen Prinzipien zu kommen.“

Seinen direkten, herzlichen Zugang zu den Gläubigen lebt der argentinische Papst auch bei den Generalaudienzen auf dem Petersplatz. Etwa wenn er es sich nicht nehmen lässt, zum Schrecken seiner Sicherheitsleute spontan aus dem Papamobil auszusteigen und auf Hunderte Menschen im Rollstuhl zuzugehen, sie persönlich zu begrüßen, zu umarmen und kurz mit ihnen zu sprechen.

Diese Spontaneität im Kleinen, dieses Abweichen von scheinbar festgefahrenen Pfaden, will der Papst auch im Großen gehen. Mit der Bestellung des achtköpfigen Beratergremiums aus Kardinälen von allen fünf Kontinenten hat er bereits erste Schritte zu einer Reform des skandalumwitterten Leitungsgremiums der katholischen Kirche, der römischen Kurie, gesetzt. Und erntet dafür viel Zuspruch, auch bei Vertretern ebendieser Kurie. „Das war ein sehr guter Schritt, denn die römische Kurie gehört sehr wohl reformiert“, ist Kardinal Ravasi überzeugt.

Sein Amtskollege, der Schweizer Kardinal Kurt Koch als Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, ist derselben Meinung. „Der Ruf nach einer Kurienreform ist sehr angebracht.“ Besonders die Kommunikation müsste verbessert werden. So dürfe sich ein „Fall Williamson“ nicht mehr wiederholen. Die überraschende Aufhebung der Exkommunikation des ehemaligen Bischofs der Pius-Bruderschaft und Holocaust-Leugners hatte 2009 zu heftigen Kontroversen innerhalb der katholischen Kirche und auch mit dem Judentum geführt.

Zurückhaltend reagierte hingegen der mächtige Chef der Glaubenskongregation, die über die Einhaltung der kirchlichen Lehre wacht, auf Journalistenfragen nach seiner Einschätzung des neuen Kardinalskollegiums. Es handle sich lediglich um eine „informelle Gruppierung“ bzw. um eine „Gesprächsgruppe“ als Reaktion auf die schon im Vorkonklave, also vor der eigentlichen Papstwahl, geäußerte Kritik, sagte Erzbischof Gerhard Ludwig Müller. Der Unmut richte sich jedoch eher gegen das vatikanische Staatssekretariat, also die Regierung des Vatikans unter Kardinalstaatssekretär Tarcisio Ber- tone, und die Vatikanbank.

Ganz so einfach lasse sich die Verantwortung für verschiedene Fehlentwicklungen aber nicht nur am umstrittenen Bertone festmachen, glauben Vatikan-Kenner. Der Oberösterreicher Franz Xaver Brandmayr etwa, der als Rektor des deutschsprachigen päpstlichen Priesterkollegs Anima als wichtige Schnittstelle zwischen Rom und der österreichischen Kirche gilt, rechne mit tiefgreifenden personellen Veränderungen. Papst Franziskus hat die Chefs der Kurie nach seiner Wahl nur „bis auf Weiteres“ wiederbestellt. Für Spannung in der näheren Zukunft der katholischen Kirche ist also gesorgt. Eine Spannung, die gerade für Österreich durch anstehende Bischofsernennungen (siehe Artikel unten) nochmals gesteigert wird.

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