Verbaute Zukunft?

„Noch nie in der Baugeschichte war der Zustand unserer Siedlungen so schlecht wie heute“, befindet Tirols Architektenschaft. Und fordert von der Politik Bau- und Planungskultur.

Innsbruck –In Schwaz steht mit den Stadtgalerien ein neues Einkaufszentrum. Im benachbarten Altstadtkern stehen die Geschäfte leer. Unlängst haben sich ein Hausbesitzer und der Schwazer Wirtschaftsreferent Gedanken über die Zentrumsbelebung gemacht. Von einer Fastfoodkette als Wunschmieter war da die Rede. Und auch von einer möglichen Entfernung des Stadtbrunnens.

Nikolaus Opperer platzt angesichts solcher Überlegungen, die er der TT entnommen hat, der Kragen: „Wann werden die Verantwortlichen endlich begreifen, dass es nicht nur um ein erweitertes Angebot an Shopping-Malls, Baumärkten und Fastfoodrestaurants gehen kann, sondern dass es auch die Sehnsucht nach Ruhe, Besinnung, Kultur, Geschichte und Identität gibt?“, fragt sich der Schwazer, dessen Ärger auch einen emotionalen Anlass hat: War es doch sein Vater Josef Opperer, der den Stadtbrunnen in den 1960er Jahren gestaltet hat. Neben dem unachtsamen Umgang mit Kunst sei es aber der „städtebauliche Wahnsinn“, der in Schwaz passiert ist, der ihn aufbringe, sagt Opperer.

Arno Ritter, Leiter des Innsbrucker aut, teilt diese Meinung. Und nennt Schwaz als „Bad-practice“-Beispiel, wenn es um Stadt- und Ortsentwicklung in Tirol geht. Dass ein Einkaufszentrum Kaufkraft abziehe, sei international bekannt, Schwaz habe die Chance vertan, seine Stadtentwicklung zu dominieren, so Ritter am Freitag bei einem Pressegespräch zur Zukunft der Baukultur in Tirol. aut, Architektenkammer und ZV Zentralvereinigung der ArchitektInnen in Tirol richteten dort Vorschläge und Forderungen an alle wahlwerbenden Parteien.

Dass in Innsbruck und auch auf Landesebene zuletzt Gestaltungsbeiräte eingerichtet wurden, begrüßen die Architekten zwar als „Quantensprung für die Qualität“, schmerzlicher Wermutstropfen sei aber, dass nur die Gemeinden oder der Landesrat diesen Beirat anrufen können, er nicht auch von sich aus aktiv werden kann. Man wolle der Politik Kompetenz zur Verfügung stellen, so ZV-Präsident Rainer Noldin. Stoße aber auf „Ignoranz und Ablehnung“.

Tirol und insbesondere die Landeshauptstadt präsentieren sich indes gerade in den vergangenen Jahren gerne als Musterschüler in Sachen zeitgenössischer Architektur. Bis auf einige wenige „Edelsteine“ bleibt von diesem Bild in der Betrachtung der Architektenschaft wenig übrig. „Die Baukultur befindet sich in Stadt und Land im freien Fall“, kritisiert Architekt Peter Lorenz. Auch er hat Beispiele parat: Wildwuchs auf der Hungerburg, „brutale Verletzungen der Landschaft“, etwa durch Gelände-Einebnungen wie in Aldrans, wo derzeit ein Reitstall entsteht. Es gehe um die Frage, „welches Tirol wir unseren Nachkommen übergeben wollen“, so Lorenz. Baukultur müsse „wieder Bestandteil politischer Inhalte werden“, eine konkrete Forderung ist etwa, „Qualitätsziele in die Präambel der Bauordnung einzufügen“.

Raumentwicklung ist in Tirol mit seinen nur 13 % Bebauungsfläche ein ständig virulentes Thema, der Wohnbau ist auch ein zentrales Wahlkampfthema. Auch dort vermisst die Architektenschaft das Bekenntnis zur Qualität. Gerade im Wohnbau werde „auf Kosten unserer Kinder an den Baukosten gespart“, erklärt Architekt Hanno Vogl- Fernheim. Derzeit würden 75 % der Kosten in die Lebenserhaltung der Gebäude, nur 25 % in die Herstellung fließen. Zukunftsorientiert sei das auf lange Sicht nicht. (jel)

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