Boston-Anschlag

Gefasster Terrorverdächtiger schwer verletzt - Suche nach Motiven

Warum die Bomben von Boston? Der flüchtige Terrorverdächtige ist gestellt, aber so schwer verletzt, dass er nicht sprechen kann. Den getöteten Bruder hatte das FBI als „radikalen Islamisten“ im Visier.

Boston - Das Motiv der mutmaßlichen Bombenleger von Boston ist weiter unklar. Die Polizei geht jedoch davon aus, dass die Brüder allein gehandelt haben. Der Zustand des am Freitagabend festgenommenen Dschochar Zarnajew ist „ernst, aber stabil“. Er sei jedoch noch nicht in der Lage zu sprechen, sagte der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick am Samstag.

Nach fünf Tagen Ausnahmezustand konnten die Bewohner der Stadt wieder aufatmen. Langsam kehrte der Alltag zurück. In einem dramatischen Großeinsatz hatte die Polizei am Freitagabend (Ortszeit) den mutmaßlichen zweiten Bombenleger von Boston aufgespürt und überwältigt.

Brüder sollen allein gehandelt haben

Der 19-jährige Dschochar Zarnajew hatte sich verletzt in einem Garten in einem abgedeckten Boot versteckt. Er wurde im Bostoner Vorort Watertown gestellt und schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wie die Polizei mitteilte. Wann gegen den jungen Mann Anklage erhoben wird, war am Samstag noch unklar. Sein älterer Bruder und mutmaßlicher Komplize Tamerlan (26) war zuvor auf der Flucht von der Polizei getötet worden. Der Polizeichef von Watertown, Edward Deveau, äußerte sich überzeugt, dass die beiden Brüder Zarnajew allein gehandelt haben. „Nach dem, was wir wissen, waren sie allein.“

Das FBI hatte Tamerlan bereits 2011 als „radikalen Islamisten“ im Visier - ohne Hinweise auf terroristische Aktivitäten zu finden. Damals wurde Zarnajew auf Wunsch einer ausländischen Regierung überprüft, wie die Bundespolizei mitteilte. Das Ersuchen habe sich auf Informationen gestützt, wonach Tamerlan sich von 2010 an drastisch verändert habe. Er habe Vorbereitungen getroffen, die USA zu verlassen, um sich nicht näher beschriebenen Untergrundgruppen in besagtem Land anzuschließen, hieß es. Das FBI überprüfte ihn damals, sprach auch mit ihm selbst und Familienangehörigen.

Nach langer Verfolgung letztlich aufgegeben

In US-Medien wurde darüber spekuliert, dass sich Tamerlan Zarnajew während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Russland im vergangenen Jahr radikalisiert und seinen jüngeren Bruder beeinflusst haben könnte. Die Familie war offenbar in den 1990er Jahren vor den Kriegen in Tschetschenien zwischen russischen Truppen und islamistischen Unabhängigkeitskämpfern aus der Kaukasus-Republik geflüchtet. Nach einem Aufenthalt in Zentralasien kamen sie vor etwa zehn Jahren in die USA. Dschochar wurde Medienberichten zufolge im vergangenen Jahr US-Staatsbürger, Tamerlan hatte eine Aufenthaltsgenehmigung.

Deveau gab am Samstag zugleich Details zur Festnahme bekannt. Der 19-Jährige habe nach langer Verfolgung letztlich aufgegeben. Der Polizist sprach von „20 Minuten Verhandlungen“ mit dem Schwerverletzten. Er räumte allerdings ein, dass Zarnajew dabei „nicht viel gesagt“ habe. Er habe aber noch um sich geschossen.

US-Präsident Barack Obama lobte nach der Festnahme in einer kurzen Rede im Weißen Haus die Arbeit der Sicherheitsbehörden und kündigte lückenlose Aufklärung an. Bei dem Anschlag auf den Boston-Marathon waren am Montag drei Menschen getötet und 180 verletzt worden. In Watertown strömten die Menschen auf die Straße, jubelten und applaudierten, als die Festnahme bekannt wurde.

Blutspuren auf einer Bootsplane

In seinem Versteck war Dschochar Zarnajew von einem Hausbesitzer entdeckt worden. Nach Aufhebung der Ausgangssperre für ganz Boston war er in seinen Garten gegangen und hatte Blutspuren auf einer Bootsplane entdeckt. Als er unter die Plane schaute, entdeckte er nach Polizeiangaben einen blutüberströmten Körper. Er habe dann den Notruf gewählt.

Der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, sagte laut „Boston Globe“, er hoffe stark, dass Zarnajew überlebe. „Ich habe viele Fragen an ihn.“ Der Gesundheitszustand des 19-Jährigen war am Samstag weiterhin ernst. Er habe viel Blut verloren, berichtet der Sender CNN. Das Krankenhaus, in dem er liege, werde schwer bewacht. Weiter hieß es, die Polizei habe dem Festgenommenen bisher nicht seine Rechte vorgelesen. Dies sei aber in besonderen Fällen möglich. Welche Höchststrafe Dschochar droht, hängt davon ab, ob er nach Landes- oder Bundesrecht angeklagt wird: Massachusetts kennt keine Todesstrafe, die USA als Bundesstaat aber schon.

Schweigeminute für die Opfer

Im Bostoner Baseballstadion der Red Sox wurde unterdessen in einer Schweigeminute der Opfer der Bombenanschläge und des am Donnerstag erschossenen Polizisten gedacht. Statt ihres traditionellen Trikots trug die Mannschaft T-Shirts mit dem Aufdruck Boston. Starspieler David Ortiz zollte in einer kurzen Ansprache der Stadt, dem Gouverneur und der Polizei seine Anerkennung für ihre „großartige Arbeit“. „Das ist unsere verdammte Stadt, und niemand nimmt uns unsere Freiheit. Bleibt stark“, sagte er unter den zustimmenden Rufen der Menge. Die Fans stimmten zusammen mit dem 72-jährigen Sänger Neil Diamond „Sweet Caroline“ an und sangen gemeinsam die Nationalhymne.

Auch der London-Marathon hat mit dem Gedenken an die Opfer der Anschläge von Boston begonnen. Vor dem Start am Sonntagmorgen legten die Teilnehmer eine 30 Sekunden lange Schweigephase ein, viele Läufer trugen zudem schwarze Armbinden. Hunderte zusätzliche Polizisten sicherten die Strecke ab, die quer durch die britische Hauptstadt und an zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbeiführt.

Zehntausende Zuschauer feuerten die Läufer vom Rand aus an. Scotland Yard hatte die Zahl der Beamten um 40 Prozent erhöht, nannte aber keine genauen Zahlen. Die Organisatoren haben angekündigt, für jeden Läufer, der die Ziellinie erreicht, an einen Hilfsfonds für Boston zu spenden. (APA/dpa/AFP)

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