„Hier das Steak, da das Schnitzel“
Auf zwei Tassen Tee mit Elina Garanca: Die TT traf die gefeierte Mezzosopranistin, die am 6. Juli in Kitzbühel auftritt, zum Interview. Ein Gespräch über Traumrollen, Experimentierfelder und faule Sänger.
Wien – Elina Garanca ist entspannt, aber viel Zeit hat sie nicht. An der Staatsoper gehen die Vorbereitungen für ihren Auftritt als Carmen in Georges Bizets gleichnamiger Oper in die letzte Runde und auch für ihre sommerliche Konzertreihe „Garanca and Friends“ gilt es, ordentlich die Werbetrommel zu rühren. „Alles eine Frage der Organisation“, sagt die 36-jährige Mezzosopranistin, und bestellt sich eine zweite Tasse Tee. Jetzt, sagt sie, sei sie bereit für das Interview.
Zuletzt waren Sie als Charlotte in Jules Massenets „Werther“ an der Staatsoper zu sehen. Die Kritiken waren überschwänglich. Ist Ihnen diese Anerkennung wichtig?
Elina Garanca: Ich lese die Kritiken erst, nachdem eine Aufführung abgespielt ist, dafür fehlt mir davor die Zeit. Aber was da steht, ist mir natürlich sehr wichtig. Letztlich ist es eine Bestätigung meiner Arbeit. Gerade jetzt, nach meiner Baby-Pause, bin ich natürlich gespannt, wie Kenner meine Leistung beurteilen, ob sie Veränderungen feststellen.
Hat sich Ihre Stimme durch die Schwangerschaft wirklich verändert?
Garanca: Vieles, was über den Einfluss einer Schwangerschaft auf die Stimme gesagt wird, ist ein Mythos. Aber Fakt ist, dass ein Kind das Leben sowieso verändert, egal ob man jetzt Sängerin ist oder nicht. Meine Stimme ist reifer geworden. Aber nicht in dem Ausmaß, dass ich jetzt mein gesamtes Repertoire umstellen müsste. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ich mich mit neuen Partien beschäftigen will. Rollen wie der Cherubino in „Le nozze di Figaro“ oder den Sesto in „La clemenza di Tito“ sind für mich keine Herausforderung mehr.
Welche Rollen schweben Ihnen vor?
Garanca: Ich will die Santuzza in der „Cavallaria Rusticana“ singen. Vielleicht auch die Eboli („Don Carlos“) oder Dalia in Saint-Saens „Samson et Dalia“. Figuren, die emotionaler, weiblich und natürlich auch erotischer sind als die jugendliche Hosenrollen à la Sesto. Es geht mir darum, meine Stimme zu entwickeln. Ich bin ein lyrischer Mezzosopran, der seine Fühler ins dramatische Fach ausstreckt, um herauszufinden, was in mir steckt.
Ihr Konzert-Programm „Garanca and Friends“ führt Sie in diesem Sommer erstmals nach Tirol. Am 6. Juli heißt es in Kitzbühel „Klassik in den Alpen“. Sind solche Konzerte auch ein Experimentierfeld für neue Partien?
Garanca: Teilweise schon. In erster Linie sehe ich diese Konzerte als Herausforderung und als Versuche, mein Leben interessanter zu machen. Nicht jeder Auftritt ist eine Probe für irgendetwas anderes. Es geht darum, meine Seele singen zu lassen und Arien zu singen, die ich liebe – und von denen ich weiß, dass ich sie vielleicht niemals auf der Opernbühne singen werde.
Bei den letzten Salzburger Festspielen überraschten Sie mit einem Programm zeitgenössischer Komponisten. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit Berio oder Boulez zu beschäftigen?
Garanca: Ich wollte etwas Unerwartetes tun. Der Musikbetrieb liebt es, Sänger zu etikettieren. Wie beim Metzger wird alles sortiert: hier das Steak, da das Schnitzel. Dagegen wehre ich mich. Warum sollte ich mich selbst einengen?
In wenigen Tagen kehren Sie zu einer Ihrer Paraderollen zurück. Am 20. Mai stehen Sie erstmals als „Carmen“ auf der Bühne der Staatsoper. Darauf hat man in Wien lange gewartet. Was sind Ihre Erwartungen?
Garanca: Ein Sänger darf gar nichts erwarten, vor allem keinen Triumph. Ich habe die „Carmen“ in London, München, Berlin und New York gesungen. Der Druck ist enorm: Ich weiß, dass es Menschen gibt, die denken: „Die Garanca mag eine gute Carmen sein, aber wie gut, zeigt sich erst in Wien.“ Und natürlich frage auch ich mich, wie ich einer Figur, die ich so oft gespielt habe, neue Seiten abgewinnen kann. Dazu kommt die Inszenierung, die beinahe 40 Jahre alt ist. Daran müssen sich Sänger meiner Generation erst gewöhnen. An manchen Stellen muss man sich regelrecht verbiegen.
Wie groß ist der Einfluss der Inszenierung, die Noten, die Sie singen, bleiben doch dieselben?
Garanca: Aber die Welt, in der ich sie singe, ist eine andere. Es ist wie eine Zeitreise: Natürlich erkennt man manches, aber auf anderes muss man sich erst einstellen. Ich werde sicherlich eine andere Carmen sein als manche meiner Vorgängerinnen, aber ich kann auch nicht alles über den Haufen schmeißen. In solchen Situationen ist es wichtig, dass man sich auf seine Bühnenpartner verlassen kann. Die Carmen mag die Hauptpartie sein, aber ohne gleichwertige Partner kann sie nicht funktionieren. Ohne einen starken Don José bleibt auch Carmen blass.
Mit dem Tenor Roberto Alagna, der den Don José in der „Carmen“ geben wird, haben Sie bereits im „Werther“ blendend harmoniert.
Garanca: Wir sind ein eingespieltes Team. Ich weiß, dass ich mich auf ihn zu hundert Prozent verlassen kann. Diese Beziehung wird funktionieren. Ob wir uns in der Inszenierung zurechtfinden, wird sich erst bei der Premiere zeigen.
Sie haben sich einmal als faul beschrieben, doch Ihr Terminkalender scheint dem zu widersprechen: zunächst die „Carmen“, dann „Garanca and Friends“, dazwischen der „Rosenkavalier“ an der Dresdner Semperoper.
Garanca: Sänger sind grundsätzlich ziemlich faul. Man entschuldigt sich immer. Ah, meine Stimme braucht Ruhe. Ah, ich kann heute nicht reden. Im Ernst: Vielleicht war meine Aussage ein bisschen provokativ. Aber Sänger – und da nehme ich mich nicht aus – neigen dazu, sich zu wichtig zu nehmen und die Welt außerhalb des Opernbetriebs aus den Augen zu verlieren. Im Vergleich zu zahllosen anderen Berufen sind wir faul.
Das Gespräch führte Joachim Leitner