Gesundheit

Das Märchen vom Multitasking

Alles zugleich, aber nichts richtig? Lenken und simsen, arbeiten und Mails lesen, bügeln und telefonieren: Das Hirn kann gar nicht alles auf einmal – Multitasking erzeugt Stress und senkt die Effizienz, sagen Experten.

Von Elke Ruß

Als ob denken und reden zugleich nicht meist schon Herausforderung genug wäre: Der moderne Mensch sollte am besten als mehrkanalfähiger Multitasker auf die Welt kommen. Was einst von zahlendem Publikum als Kuriosum bestaunt wurde – Leute, die mit Händen und Füßen zugleich schrei­ben und dabei womöglich noch etwas erklären konnten –, soll heutzutage jeder leisten.

Nicht nur moderne Büromaschinen wie der PC mit zig Arbeitsfenstern zwingen zu steten Aktivitäten in Paralleluniversen. Wie Stefan Rieger vom Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum in seinem Buch „Multitasking. Zur Ökonomie der Spaltung“ feststellt, hat das „mehr oder weniger schleichende Diktat der Mehrfachverarbeitung“ längst auch den Boden kleiner, allgegenwärtiger Gerätschaften wie Spielkonsolen erreicht.

Rieger zufolge soll sich der Mensch dabei nicht bloß teilen oder sogar selbst ver­viel­fältigen, sondern darüber hinaus noch ständig selbst optimieren: „Kognitive Fertigkeiten und Merkfähigkeiten erscheinen so trainierbar wie Muskeln, und diese Trainierbarkeit ist Gegenstand eines lukrativen Marktes“, nennt er etwa „Produkte zur Konzentrations- und Gedächtnissteigerung, Kreuzworträtsel als Anti-Aging-Hilfe, Sudoku zur Alzheimer-Verzögerung und Techniken für Alltagsorganisation oder Zeitmanagement“.

Das Multitasking habe „durch die Art, wie wir jetzt arbeiten, rasant zugenommen“, sagt der Berliner Arbeitspsychologe Tim Hagemann. Besonders betroffen seien Bildschirmarbeiter, die z. B. etwas schreiben, dazwischen ihre Mails abrufen und im Internet nachschauen. „Es gibt dazu interessante Studien: 40- bis 50-mal am Tag – das ist ein mittlerer Wert – ruft man die Mails ab. Umgelegt auf einen Arbeitstag, heißt das: im Schnitt alle zehn Minuten. Untersuchungen aus Kalifornien zufolge braucht man aber drei bis fünf Minuten, um nach einer Unterbrechung wieder in eine konzentrierte Tätigkeit zurückzufinden. Wenn man acht Stunden am Tisch sitzt, ergibt das also keine zwei Stunden Nettoarbeitszeit.“

Der Mitarbeiter habe wohl das Gefühl, „den ganzen Tag etwas getan zu haben, aber er ist nicht zufrieden“, spricht Hagemann Arbeitsfrust und Burnout an. Als soziales Wesen könne der Mensch an Kommunikationsangeboten aber auch nicht vorbeigehen: Zu Smartphone, Tablet & Co. gesellen sich auch mehr Meetings – und heraus komme die „fragmentierte Arbeit“.

Untersuchungen bestätigen jedoch weder die Mär, dass Frauen beim Multitasking besser sind als Männer, noch, dass es überhaupt funktioniert: Am ehesten erledige das Gehirn zwei Dinge in rascher Folge hintereinander.

Zumindest könne man „nicht gleichzeitig zwei Dinge gleich gut machen“, weiß Hagemann. Autofahren und Telefonieren zugleich sei schon machbar, dadurch steige aber die Unfallhäufigkeit. „Und man spart durch das Multitasking keine Zeit!“, sagt der Arbeitspsychologe. „Es ist auch zermürbend, wenn man Dinge immer von Neuem beginnen muss.“

Von Reizüberflutung und der „Zeitfalle Multitasking“ spricht auch Rieger.

Um ihr zu entgehen, rät Hagemann, die Arbeit „möglichst in Blöcken zu organisieren, in denen man sich nicht unterbrechen lässt. Wann man nicht gestört werden will, sollte man auch mit dem Team absprechen.“ Empfehlenswert sei dies am Vormittag, denn die meisten könnten sich da am besten konzentrieren. „E-Mails kann man dann in dem Tief nach der Mittagspause bearbeiten.“ Optische oder akustische Signale, die Posteingänge anzeigen, sollte man abstellen und für die Mails feste Zeiten setzen. „Das soll man auch kommunizieren: E-Mails werden erst ab 15 Uhr geprüft, in dringenden Fällen bitte anrufen.“

Nicht zuletzt sollte man „in den Arbeitspausen aufstehen und vom Gerät weggehen und sich entspannen – statt erst wieder im Internet zu surfen“. Um wirklich abzuschalten, sollte man auch wieder üben, einmal zehn Minuten lang schlicht gar nichts zu tun. „Selbst beim Warten auf den Bus checken wir ja Nachrichten – oder wir schauen daheim mit einem Auge fern und mit dem anderen aufs Handy.“