Nach Anschlag

Türkei und Syrien: Diplomatie der Drohgebärden und Beleidigungen

Zwischen der Türkei und dem syrischen Regime herrscht diplomatische Eiszeit. Der türkische Premier Erdogan droht Syrien mit Vergeltung. Dort schimpft man über den „Mörder“ und „Henker“ in der Nachbarschaft.

Ankara, Damaskus – Nach dem blutigen Doppelanschlag in der türkischen Grenzstadt Reyhanli drehen Ankara und Damaskus weiter an der Eskalationsschraube. Während der syrische Informationsminister Omran al-Zobi den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag als „Mörder“ und „Henker“ beschimpfte, drohte dieser dem Nachbarland mit Vergeltung. Die Türkei werde zu gegebener Zeit auf den Anschlag reagieren, sagte er. Die türkischen Behörden identifizierten einheimische Linksextremisten mit Kontakten nach Syrien als Urheber der Tat.

„Hinter dieser Tat steckt das Regime. Das ist gewiss“, sagte Erdogan am Montag. Zugleich warnte er vor Versuchen, die Türkei mit Provokationen in den Bürgerkrieg in Syrien zu verwickeln. „In diese Falle werden wir nicht treten“, sagte er.

Politische Karriere „auf dem Blut des türkischen und syrischen Volkes“

Dagegen betonte der syrische Informationsminister al-Zobi im russischen Fernsehen, dass der türkische Premier Erdogan persönlich die Schuld an den Anschlägen trage. Erdogan habe „kein Recht, eine politische Karriere auf dem Blut des türkischen und syrischen Volkes aufzubauen“. Zobi bekräftigte im arabisch-sprachigen Dienst des Senders, sein Land habe mit den Anschlägen in der türkischen Grenzstadt Reyhanli nichts zu tun.

Der syrische Abgeordnete Sherif Shehata sagte, dass die in Reyhanli explodierten Sprengsätze eigentlich für Syrien bestimmt worden seien. Sie seien versehentlich in die Luft gegangen, sagte der regierungstreue Parlamentarier dem Nachrichtensender Al Jazeera: „Die Grenzen zwischen Syrien und der Türkei sind immer noch offen für diese Terroristen, die von Erdogans Seite kommen und nicht etwa von der „Shabiha“-Miliz oder von den Regierungstruppen.“

In Abstimmung mit dem syrischen Geheimdienst?

Wie türkische Medien am Montag berichteten, wurde der Anschlag von Linksextremisten verübt. Bei den neun am Sonntag festgenommenen Beschuldigten handle es sich um Mitglieder der „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) sowie einer Splittergruppe der „Türkischen Volksbefreiungspartei-Front“ (THKP-C).

Sie sollen in Abstimmung mit dem syrischen Geheimdienst gehandelt haben, auch der Sprengstoff soll aus dem Nachbarland gekommen sein. Ziel der DHKP-C ist es, das Regierungssystem der Türkei durch einen revolutionären Umsturz zu beseitigen.

Bei der Explosion zweier Autobomben in der wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegenden Stadt waren am Samstag nach neuesten Angaben 49 Menschen getötet worden, etwa 140 wurden verletzt.

Die Anschläge wurden international verurteilt. Auch der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev (Alijew) und Bundespräsident Heinz Fischer zeigten sich am Montag besorgt über die weiteren Entwicklungen im Syrien-Konflikt.

Aliyev verurteilte den „barbarischen Akt“. Fischer erklärte, dass Syrien kein Interesse daran haben könne, die Situation durch das „Eröffnen einer weiteren Front“ noch zu verkomplizieren.

Internationale Helfer „Zielscheiben“ im Bürgerkrieg

Unterdessen warnte das UNO-Welternährungsprogramms WFP davor, dass internationale Helfer zunehmend zur Zielscheibe der Bürgerkriegsparteien werden könnten.

„Es wurden schon mehrere Konvois angegriffen und von Schüssen getroffen“, sagte die deutsche WFP-Sprecherin Katharina Weltecke am Montag dem Radiosender MDR Info. „Bis jetzt ist glücklicherweise niemand verletzt worden. Aber einheimische Hilfswerke haben auch schon Mitarbeiter verloren.“

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) richtete einen dringenden Spendenappell an die internationale Gemeinschaft. Rund 50 Millionen Euro seien angesichts der Ausweitung des Krieges zusätzlich erforderlich, erklärte die Hilfsorganisation am Montag.

Angesichts von immer mehr Notleidenden reichten die Kapazitäten zur humanitären Hilfe längst nicht aus, erklärte Robert Mardini, Leiter der IKRK-Operationen im Nahen und Mittleren Osten, vor Journalisten in Genf. Mit den von Geberländern erhofften zusätzlichen 50 Millionen Euro sollen die IKRK-Mittel für Syrien bis zum Jahresende auf 82 Millionen Euro aufgestockt werden. (tt.com, APA, dpa, AFP)