AP-Bespitzelung

Obamas „Yes we can“ wird für die Presse zur gefährlichen Drohung

Tritt der „Medien-Präsident“ die Pressefreiheit mit Füßen? Spitzelvorwürfe gegen das Justizministerium vom Barack Obama haben in den USA einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Und das ist nicht die einzige Affäre, die das Weiße Haus beschäftigt.

Von Marco Mierke

Washington – Keine drei Wochen ist es her, da sah man Barack Obama und die amerikanischen Top-Journalisten fröhlich vereint bei der jährlichen Korrespondentenparty in Washington. Der Präsident erzählte Witze, erntete Lacher und Applaus. Der Champagner floss in Strömen – Harmonie pur.

Wie in jedem Jahr beklagten vor allem die oppositionellen Republikaner danach die mangelnde kritische Distanz der Reporter zu „ihrem“ Präsidenten, den Schmusekurs der Presse mit dem medienwirksamen Politikstar. Doch sollte es diese Nähe tatsächlich geben, so ist diesen Tagen davon nichts zu spüren.

Obama ist innerhalb der vergangenen vier Tage so stark unter Druck geraten wie kaum zuvor in seiner Präsidentschaft. Gleich drei Themen lassen seine Regierung in einem sehr schlechten Licht dastehen und die volle Wucht der medialen Kontrolle spüren.

Da ist die weiterhin die schwelende Frage, ob das Weiße Haus im vergangenen Jahr aus Wahlkampfgründen den Terroranschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi herunterspielen wollte, bei dem Botschafter Chris Stevens getötet worden war. Da ist der Skandal, dass die Steuerbehörde IRS gezielt republikaner-nahe Oppositionsgruppen benachteiligte.

Radikale Bespitzelung

Und jetzt kommen auch noch massive Spitzelvorwürfe gegen Obamas Justizministerium hinzu, das in beispielloser Weise Telefondaten der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) abgeschöpft haben soll.

Nach AP-Angaben kassierten die Ermittler heimlich eine Liste ausgehender Telefongespräche von mehr als 100 Journalisten des renommierten und weltweit tätigen Medienunternehmens ein. Sogar Privatanschlüsse waren darunter.

Erst Monate nach dem Zugriff wurde AP nach eigenen Angaben überhaupt in Kenntnis gesetzt – ohne jede Möglichkeit, sich gegen den gerichtlichen Durchsuchungsbefehl zu wehren oder wenigstens die betroffenen Kollegen zu warnen.

Wütender Beschwerdebrief

AP-Präsident Gary Pruitt spricht in einem wütenden Beschwerdebrief von einem ernsthaften Verstoß gegen die amerikanische Verfassung, in der die Pressefreiheit allerhöchsten Stellenwert genießt. „Wir finden das sehr besorgniserregend“, sagt AP-Chefredakteurin Kathleen Carroll und verdeutlicht, so etwas in ihrer rund 30-jährigen Karriere noch nie erlebt zu haben.

Der Verlegerverband „The Newspaper Association of America“ bezeichnete das Vorgehen als „schockierend“. Selbst aus Obamas eigener Partei kam umgehend Kritik. „Zutiefst beunruhigt“ sei er von den Berichten, sagte der demokratische Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, Patrick Leahy.

Das alles ist erlaubt, wenn eine Warnung an das betreffende Medium eine „bedeutende Bedrohung für die Integrität der Ermittlung“ wäre. Laut Experten muss Justizminister Eric Holder einen derartigen Spitzelangriff persönlich genehmigen.

Hintergrund im konkreten Fall könnte ein durch den Geheimdienst CIA vereitelter Terroranschlag sein. Details dazu fanden sich später in Zeitungen, obwohl sie „top secret“ waren.

Knallharte Jagd nach Maulwürfen

Wann immer so etwas passiert, lässt Obama knallhart nach dem Maulwurf in Regierungsreihen suchen. Holder selbst kündigte im vergangenen Juni an, dass es „keinerlei Toleranz“ für Geheimnisverrat gebe. Was das bedeutet, musste etwa ein „New York Times“-Reporter am eigenen Leib erfahren.

Die Behörden konfiszierten seine Telefon- und Bankdaten, nachdem er geheime US-Infos über Irans Atomprogramm veröffentlicht haben soll. Insgesamt sechs derzeitige und frühere Regierungsbeamte stellte das Justizministerium bereits vor Gericht, weil sie unerlaubt mit der Presse gesprochen haben sollen.

Diesmal könnte Holder aber zu weit gegangen sein. Das Weiße Haus jedenfalls will nichts mit der Sammlung der AP-Telefonliste zu tun haben. Das sei allein Sache des Justizministeriums, ging Obamas Sprecher Jay Carney demonstrativ auf Distanz.

Ob er damit den krisengeschüttelten Präsidenten vor dem Journalisten-Zorn bewahren kann, ist allerdings fraglich. Denn am Ende erweist sich sein Wahlspruch „Yes we can“ als gefährliche Drohung für die Pressefreiheit. Der Staat kann nicht nur, sondern der Staat greift offenbar in fundamentale Rechte ein. (dpa)

AP-Brief an das US-Justizministerium: http://dpaq.de/je9zY

Criminal Resource Manual des Justizministeriums: http://dpaq.de/pfb4P