Natur

Schnelligkeit als Waffe gegen den Kinderhandel

Die Drehscheibe in Wien hilft unbegleiteten Kindern, die aufgegriffen werden. Leiter Norbert Ceipek regt einen Stützpunkt in Tirol an.

Von Sabine Strobl

Innsbruck –1998 hat der gebürtige Innsbrucker Norbert Ceipek die „Drehscheibe Augarten“, eine Einrichtung der Wiener Jugendwohlfahrt, gegründet. Seitdem ist er in den Ländern Südosteuropas unterwegs und bekämpft organisiertes Betteln mit Kindern, also Kinderhandel. Laut Task Force verdienen kriminelle Netzwerke 25 Milliarden Euro pro Jahr mit Menschenhandel. Die Armenhäuser Europas schicken Kinder mit fremden Erwachsenen zum Betteln ins Ausland. „Das funktioniert wie ein Leasingsystem“, erklärt Ceipek: „Die Eltern bekommen eine Kleinigkeit und nach ein paar Monaten werden die Kinder wieder zurückgebracht. Die angeblichen Onkel und Tanten haben meist ein beglaubigtes Papier mit einer Reiseerlaubnis der Kinder dabei.“ Der Sozialpädagoge stellt aber klar: „die Kinder werden ausgebeutet. Das gehört bekämpft.“

Die Drehscheibe betreut unbegleitete Kinder zwischen 3 bis 18 Jahren. „2005 wurden in Wien noch 701 Kinder Opfer von Menschenhandel. Jetzt sind es zwischen 25 und 40“, sagt Ceipek. Warum das Hilfsprojekt so effizient ist? Schnelligkeit ist eine Antwort. Greift die Polizei Kinder auf, werden sie mit Foto registriert. Die Einrichtung tritt sofort in Kontakt mit der Botschaft des Heimatlandes. „Dadurch hauen die Kinder und Jugendlichen weniger ab“ und die Hintermänner verlieren das Interesse an den nicht mehr „anonymen“ Kindern. Die Kinder sind mit der Ankunft in der „Drehscheibe“ versichert, bekommen eine Unterkunft und einen Schulplatz. Ein Drittel wird wieder ins Heimatland gebracht, zwei Drittel in Österreich integriert. Die Drehscheibe arbeitet eng mit dem Wiener Kriminalamt zusammen sowie mit den Behörden des Herkunftslandes. Ceipek: „Wir haben Abkommen mit Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Bosnien und Ungarn.“ Derzeit verschiebt sich das Problem auf afghanische Kinder, die als „Hoffnungsträger“ ihrer Familien losgeschickt werden. „Die Kinder stehen unter enormem psychischen Druck. Sie müssen Asyl bekommen. Das erwarten die Eltern. Doch die Schäden an den Kindern sind irreparabel“, sagt Ceipek, der auf „politische Korrektheit pfeift“, wenn es um Anliegen für Kinder geht.

Das Vorzeigeprojekt findet in Deutschland und Thailand Interesse. Eben hat es ein Gespräch in Vaduz gegeben, Bern hat eine „Drehscheibe“ eingerichtet. Ceipek hält eine Ausweitung des Projekts innerhalb von Österreich für sinnvoll. „Ein Stützpunkt in Wien, Linz, einer für die Steiermark und Kärnten sowie einer für Tirol, Salzburg und Vorarlberg wäre sinnvoll.“ Generell liegt die Jugendwohlfahrt in den Händen der Länder.

Die Situation in Österreich ist sehr unterschiedlich. Trotzdem werden obige Großstadtphänomene vereinzelt auch in Tirol beobachtet. „Wir stellen in letzter Zeit fest, dass Minderjährige aus den Maghrebstaaten nach Innsbruck kommen. Dies ist ein neues Phänomen. Überwiegend sind aber nach wie vor junge Erwachsene in Innsbruck“, informiert Silvia Rass-Schell, Leiterin der Jugendwohlfahrt Tirol. Ihr größtes Anliegen ist es, dass die Jugendlichen die Hilfen der Jugendwohlfahrt annehmen oder annehmen können. Leider gelinge dies nicht immer.

Wenn in Tirol unbegleitete Minderjährige aufgegriffen werden, dann ist Feuer am Dach, erklärt Peter Öhm von der Landespolizeidirektion. „Gott sei Dank ist die Bevölkerung in Tirol sehr sensibel.“ „Hauptthema“ seien aber marokkanische Jugendliche, die zwischen Frankreich, Italien und Spanien pendeln. „Obwohl sie sehr jung sind, haben sie eine große Lebenserfahrung. Sie kennen das Straßenleben“, bedauert Öhm. Kinder, die mit Erwachsenen in Tirol betteln, gelten als Einzelfälle.

In Tirol herrscht derzeit ein generelles Bettelverbot. Aufgrund des Verfassungsrechtes könnte aber nicht aggressives Betteln straffrei werden. Im Juni soll auch eine Hilfsinitiative für Bettelnde in Tirol starten.