Pestizid-Verbot: Agrarier fürchten Bauern-, nicht Bienensterben
Agrarlobbyisten warnen vor gravierenden Auswirkungen auf die heimische Landwirtschaft durch das Neonicotinoid-Verbot in der EU. Gemüsebauern, Mastbetrieben und Saatgut-Exporteuren drohen demnach massive Einbußen.
Wien - Agrarlobbyisten befürchten kurz- und mittelfristig „enorme Auswirkungen“ auf die Wirtschaft durch das von der EU vorerst für zwei Jahre geplante Neonicotinoid-Verbot für Mais, Sonnenblumen, Raps und Baumwolle. Zumindest eine Studie des Humboldt Forum for Food and Agriculture (HFFA) e.V. mit dem Titel „The value of Neonicotinoid seed treatment in the European Union“ legt dies nahe. Auch Anton Brandstetter, Chef von Saatgut Österreich, schlug am Donnerstag Alarm.
Insgesamt sei der gesamte Gemüseanbau betroffen, genauso wie die Saatgut-Wirtschaft mit ihren Maissaatgut-Exporten aus Österreich im Wert von bis zu 100 Mio. Euro, sagte Brandstetter.
Schweinemast in der Steiermark gefährdet
Die gravierendsten Auswirkungen erwartet der Fachmann für die kleinstrukturierte Landwirtschaft in der Steiermark, in der Mais die Futtergrundlage für die Schweinemast ist. Müssten statt Mais andere Getreide angebaut werden, gäbe es pro Hektar um rund fünf Tonnen weniger Ertrag, der Bauer müsste zukaufen, um seine Schweinemast zu erhalten, so Brandstetter.
Einem Betrieb mit 750 Mastplätzen würden Mehrkosten von rund 100.000 Euro im Jahr entstehen, „wenn das Fleisch nicht entsprechend teurer würde. Konsequenz wäre wohl, dass hunderte Betriebe die Schweinemast einstellen müssten, zusätzlich würden Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, Investitionen würden wegfallen - ein Rattenschwanz an Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige“, so Brandstetter.
Österreichweit würden „von den derzeit rund 50.000 Hektar Rapsflächen höchstens 25.000 Hektar übrig bleiben“, sagte Brandstetter weiter. „Und gerade der Raps ist bei den Bienen sehr beliebt.“ Würden überhaupt auch andere Insektizide nach den Neonicotinoiden verboten, „verschwindet der schädlingsanfällige Raps ganz aus Österreich“.
„Wir gehen davon aus, dass die EU-Kommission die zeitlich befristete Variante des Neonicotinoid-Verbots beschließt und gewisse Ausnahmen offen lässt - Wintergetreide, Zuckerrübe und Zwiebel“, sagte Brandstetter.
Über fünf Jahre könnte die EU 17 Milliarden Euro „verlieren“, heißt es, 50.000 Jobs könnten insgesamt verloren gehen und mehr als eine Million Menschen in der landwirtschaftlicher Produktion würden in ihrer Lebensgrundlagen betroffen, orakeln die Autoren.
Betroffen wären laut Brandstetter auch 2000 Hektar Grünerbsenproduktion im Marchfeld, an der ein Tiefkühlwerk hängt. „Wenn die Produktion für die Bauern uninteressant wird, dann ist auch das Werk gefährdet.“
Insgesamt nicht zu vergessen seien Investitionen der vergangenen Jahre von bis zu 3 Mio. Euro durch die Bauern in spezielle Sägeräte für die neonicotinoidgebeizten Samen - sogenannte Deflektoren, die die Abluft beim Sävorgang so steuern, dass kein Staub in die Luft verteilt wird - „was speziell dafür gemacht wurde, damit Bienen nicht geschädigt werden“. Die Saatgutwirtschaft habe zwei Mio. Euro in spezielle Beiztechniken investiert.
Studie: Lebensmittelproduktion würde rasant sinken
In der Studie heißt es weiter, die Lebensmittelproduktion in der EU würde sich durch das Verbot „signifikant reduzieren“, die Agrarhandelsbilanz außer Balance geraten. Die Neonicotinoide seien bereits „integraler Bestandteil der europäischen Landwirtschaft“. Zudem würde es notwendig werden, außerhalb der EU neue Agrarflächen zu schaffen.
Die 30 Millionen Hektar außerhalb der EU, auf denen jetzt schon Pflanzen für die Union gezogen würden, würden um zumindest zehn Prozent ansteigen müssen. Die Umwandlung der angeblich notwendigen Flächen in Ackerland führe zu einem zusätzlichen CO2-Ausstoß von 600 Millionen Tonnen, was den Gegenwert von EU-Emissionszertifikaten in Höhe von 15 Mrd. Euro entspräche.
Pflanzenbauern in der gesamten EU würden einen signifikanten Teil ihrer wirtschaftlichen Grundlagen verlieren, bzw. würde man sich wohl nur noch auf einige wenige Pflanzen konzentrieren, glauben die Studienautoren Steffen Noleppa und Thomas Hahn.
In der Studie heißt es weiter, die großen Agrar-Industriebetriebe wie Zucker-Erzeuger und Saatgut-Anbieter würden einen besonders großen Teil ihrer Margen verlieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit würde sinken. (APA)