Alltag für Homosexuelle in Europa: Diskriminierung und Übergriffe
Viele Homosexuelle und Transgender müssen in der EU noch gegen Diskriminierung kämpfen. Eine neue Studie zeigt Missstände in allen Ländern auf. Politiker haben dabei eine wichtige Vorbildfunktion.
Wien – Soziale Isolation bis hin zu offenen Anfeindungen: Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender haben in Europa noch mit einigen Problemen zu kämpfen. Es gebe noch großen Aufholbedarf bei der gesellschaftlichen Akzeptanz. Das zeigt eine Studie der EU-Grundrechte-Agentur (FRA), die an diesem Freitag, dem Tag gegen Homophobie, in Den Haag vorgestellt werden sollte.
Danach erlebte fast die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) im vergangenen Jahr eine Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung. Österreich und Deutschland liegen mit 48 Prozent einen Punkt über dem EU-Schnitt. Schlusslicht ist Ungarn: Zwei Drittel der Befragten gaben an, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein. Viele verheimlichen ihre Neigung deshalb. Sechs Prozent der Befragten erzählten von körperlichen Angriffen in den vergangenen zwölf Monaten, die zum Teil in der eigenen Familie stattfanden. Frauen wurden außerdem häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen.
Mehr als 93.000 Studienteilnehmer
Doch nur etwa jeder fünfte Zwischenfall wurde bei der Polizei angezeigt. Viele Betroffene zweifeln laut der Studie, dass sich dadurch etwas verbessern könnte. „Ich erlebe so viel Diskriminierung, Belästigung und Gewalt, dass es zu meinem Alltag geworden ist“, sagte ein 25-jähriger bisexueller Transgender aus Litauen in der Befragung. Transsexualität bezeichnet das Gefühl, mit dem falschen Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein. Betroffene bevorzugen die Bezeichnung Transgender, da diese nicht den Anschein erweckt, es handele sich um ein sexuelles Problem. Ihnen geht es um ihre Identität.
Insgesamt nahmen mehr als 93.000 Menschen aus der gesamten EU und Kroatien im vergangenen Jahr an der nicht repräsentativen Online-Studie teil. Alle Befragten waren über 18 Jahre und bezeichneten sich als Transgender, homo- oder bisexuell. Mit über 20.000 kamen die meisten Antworten aus Deutschland. Aus Österreich nahmen 2543 Personen teil.
Nordische Länder als EU-Vorreiter
Die Betroffenen zeigen den Angaben zufolge selten offen ihre Zuneigung. Zwei Drittel (66 Prozent) der Studienteilnehmer sagten, sie vermieden es, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten - aus Angst vor den Konsequenzen. In Österreich verzichten 54 Prozent auf diese kleine Geste der Zärtlichkeit. Sogar bei einem Arztbesuch mussten sich manche Befragten abfällige Kommentare gefallen lassen. Rauswürfe aus Restaurants mit den Worten „Sie sind hier nicht willkommen“, kommen ebenfalls in Europa immer wieder vor.
Die EU-Organisation fordert deshalb, dass Polizisten verstärkt geschult werden, um mit der Thematik besser umgehen zu können. Sollte es zu Übergriffen wegen der sexuellen Orientierung kommen, sollte dies erschwerend bei der Strafe berücksichtigt werden - ähnlich wie es bei rassistisch motivierten Taten bereits in einigen Ländern gemacht wird. In Österreich wäre beispielsweise eine Erweiterung des Verhetzungsparagrafen möglich. Gesetzeslücken, etwa bei Diskriminierungen im Mietrecht oder bei Dienstleistungen, sollten in der gesamten EU einheitlich geschlossen werden.
Vorreiter in Europa, was die Rechte für Homosexuelle und Transgender angeht, sind nordische Länder wie Dänemark, Schweden und Großbritannien. Dort setzte die Politik bereits eigene Aktionspläne ein. Trotzdem gibt es laut den Studienautoren auch dort noch Nachholbedarf.
Schulzeit als „Hölle“
Die ersten negativen und für viele schlimmsten Erfahrungen sammelten Betroffene in ihrer Jugend. Vielfach wurde die Schulzeit in der Studie als „Hölle“ bezeichnet. 91 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten erlebt, dass Mitschüler schlecht behandelt wurden, nur weil sie für schwul oder lesbisch gehalten wurden. Ein Großteil behielt daher seine Neigung während der Schulzeit für sich.
In der Arbeitswelt berichten Betroffene ebenfalls von Problemen: Jeder fünfte Befragte erlebte am Arbeitsplatz oder schon bei der Suche nach einem Job Diskriminierung. „Mein Verhalten in der Arbeit beinhaltet einiges an Selbstzensur und zurückhaltendes Auftreten“, sagte ein 31-jähriger schwuler Mann aus Deutschland.
Am stärksten sind Transgender betroffen. Sie gaben am häufigsten an, intolerantem Verhalten in der Berufswelt und im Gesundheitswesen ausgesetzt gewesen zu sein.
Geoutete Menschen weniger diskrimiert
Öffentliche Unterstützung von Politikern habe große Vorbildwirkung. Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der offen zu seiner Homosexualität steht und in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, wirke in Deutschland als Leitfigur: „Das macht natürlich einen positiven Unterschied zu anderen Ländern“, sagte die Sprecherin der FRA, Waltraud Heller. In Ländern, in denen sich Politiker selbst abwertend über Homosexualität äußerten, fühlten sich Befragte häufiger diskriminiert.
Doch auch die eigene Offenheit kann laut Studie zu mehr Akzeptanz führen: Geoutete Menschen in allen Ländern berichteten demnach von weniger Diskriminierung als jene, die nicht offen mit ihrer Neigung umgingen. (dpa, APA, tt.com)