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70 Jahr – graues Haar – Superstar

Jung, knackig, faltenfrei – von wegen! Schönheitswettbewerbe liegen auch bei Senioren im Trend. Im Jänner 2014 soll es die erste Misswahl für Pensionistinnen in Wien geben. Die Psychologin Johanna Foltinek aber warnt: Dem alternden Körper werden die gleichen Schönheitsideale aufgezwungen wie jungen Frauen.

Von Miriam Hotter

Eine glitzernde Krone und eine Schärpe in königlichem Blau, Fältchen im Gesicht und verfärbte Zähne: Irenilda de Oliveira Menezes konnte sich in einem etwas anderen Schönheitswettbewerb gegen 24 Konkurrentinnen durchsetzen.

In Sao Paolo wurde diesen Monat eine Misswahl für Seniorinnen veranstaltet. Die strahlende Gewinnerin ist 65 Jahre alt und – aus der Sicht der Jury – die schönste Pensionistin in Brasilien. Im Jänner 2014 soll es auch in Wien den ersten Schönheitswettbewerb für Senioren ab 60 Jahre geben (www.miss-grandedame.at).

Ist 60 das neue 30? Die Klinische Psychologin Johanna Foltinek beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Schönheitsbild der Frau und sieht solche Wettbewerbe kritisch. „Misswahlen für ältere Menschen lassen glauben, es gäbe bereits eine neue Sicht auf das Älterwerden. Aber leider ist das nicht so“, sagt die 44-jährige Wienerin.

Im Gegenteil. Den alternden Körpern werden laut Foltinek ähnliche Schönheitsideale aufgezwungen wie den jungen Frauen. „Die Schönheitsideale sind immer noch dieselben. Nur die Altersgrenze hat sich erweitert“, meint die Psychologin. In den westlichen Kulturen herrsche ein Trend zu jungen, schlanken Menschen. Kein Wunder also, dass es nicht ganz so junge, nicht ganz so schlanke Gestalten eher nicht auf die Titelseite von Hochglanzmagazinen schaffen.

Genau diese Bilder von scheinbar makellosen Frauen auf Zeitschriften und Magazinen sind es laut Foltinek aber, die der Bevölkerung vermitteln, man „müsse“ so aussehen. „Eine Studie hat gezeigt, dass wir pro Woche zwischen 2000 und 5000 manipulierte Bilder sehen“, erklärt Foltinek. Doch in Wirklichkeit würden nur sechs von 10.000 Frauen den Traummaßen von 90-60-90 entsprechen. „Es ist unrealistisch, dass so viele Frauen so perfekt aussehen.“

Doch für den Traum vom perfekten Körper greifen Frauen zu allen Mitteln: mit Diäten, Sport und zur Not mit dem Skalpell. Eine aktuelle Umfrage von Karmasin Motivforschung im Auftrag von Moser Medical kam zu dem Ergebnis, dass sich jeder Dritte in Österreich schon einmal Gedanken über eine Schönheitsoperation gemacht hat.

Und immer mehr Menschen setzen diese Idee in die Tat um. Denn nach Meinung der Österreicher sind zwei Faktoren entscheidend für beruflichen Erfolg: selbstbewusstes Auftreten (76 Prozent) und ein gepflegtes Äußeres (73 Prozent).

Eine Entwicklung, die Foltinek als gefährlich ansieht. „Immer mehr ältere Frauen kommen mit Problemen wie Bulimie und Magersucht zu mir in die Praxis“, sagt die Wienerin. Vor allem jene, die bereits in der Jugend mit Essstörungen zu tun gehabt hätten, seien im Alter anfällig für Rückfälle. „Älterwerden wird häufig mit Hässlichkeit und Krankheit verbunden“, weiß Foltinek.

Dass Alter und Schönheit sich aber nicht ausschließen müssen, zeigte der Konzern Unilever mit seiner Marke „Dove“:­ Für eine Kampagne haben Frauen im Alter zwischen 54 und 63 Jahren völlig unbekleidet für „Pro-Aging“-Produkte der Marke geworben. Auch die Kosmetikmarke L’Oreal holt Botschafterinnen wie Jane Fonda (75) und Andie MacDowell (55) vor die Kamera, um für ein Produkt zu werben.

Während solche Kampagnen für manche Frauen eine Revolution darstellen, sind sie für Foltinek eher eine Form der Vermarktung. „Die Werbung hat diesen Markt für sich entdeckt und schlägt daraus Profit.“ Und die Konzerne würden dadurch ein positives Image genießen.

Dabei wäre es laut Foltinek höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft von dem Bild jugendhafter Schönheit entfernt. Alter sei nämlich kein Makel. „Es geht nicht darum, die Uhr zurückzudrehen, um auch mit 60 noch auszusehen wie mit 30, sondern darum, in jedem Alter das Beste aus sich zu machen“, erklärt Foltinek. Nach der Pension sollte man sich Gedanken darüber machen, was man sich vom Leben noch erwartet und wie man seinen Lebensabend ohne Beruf verbringen möchte.

Und natürlich sollten Senioren noch Wert auf ihr Äußeres legen – es aber nicht überbewerten. Für die Psychologin hat das Alter genauso viele Vorteile wie die Jugend. „Man muss sie nur entdecken“ so Johanna Foltinek.