Architektur

Sparen, wo es am dümmsten ist

„Alles wird schöner, größer, besser, nur das Wohnen nicht“, schimpfte querkraft-Architekt Gerd Erhartt bei seiner sto-lecture im Innsbrucker aut. architektur und tirol. Aber: „Da machen wir nicht mit.“

Von Edith Schlocker

Innsbruck –Laut der 1948 in Paris von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Deklaration ist das Wohnen ein Menschenrecht. Das immer schwieriger zu finanzieren ist, selbst in Österreich, dem bekanntlich zwölftreichsten Land der Welt. Beim – sozialen – Wohnbau zu sparen bedeutet für Gerd Erhartt, neben Jakob Dunkl seit 1998 Betreiber des Wiener Büros querkraft architekten, allerdings „sparen, wo es am dümmsten ist“. Verbringt der Mensch doch immerhin 95 Prozent seines Lebens in geschlossenen Räumen.

Obwohl querkraft nicht zuletzt durch den Bau des spektakulär in die Landschaft auskragenden Liaunig-Museums in Kärnten bzw. den Gewinn großer Wettbewerbe gegen internationale Konkurrenz inzwischen architektonisch in einer hohen Liga spielen, bleibt der soziale Wohnbau für das Wiener Architektenteam ein zentrales Anliegen. Bei der Annäherung an ihre Projekte gehen sie zwar von der jeweiligen Funktion aus, im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stünde aber immer der Mensch, so Erhartt anlässlich seiner sto-lecture kürzlich im Innsbrucker aut. Dürfe die Architektur den potentiellen Bewohner doch nie dominieren, ihm dessen Strukturen nicht aufdrängen.

Architektur ist für Erhartt ein gesamtkultureller Prozess, der nicht den Bauträgern überlassen werden darf. Wobei in einer sich wandelnden Welt strukturelle Nachhaltigkeit beim Bauen immer wichtiger werde. Was konkret bedeutet, dass sich ein Gebäude wandeln, sich verändernden gesellschaftlichen Bedürfnissen anpassen können muss. Die Lösung sind möglichst einfache, offene Grundrisse und große Freiräume.

Kein Tabu ist für Erhartt auch ein Überdenken der zahllosen Verordnungen und Önormen. Etwa jener, dass in Wien prinzipiell keine Balkone straßenseitig gebaut werden dürfen. Was von findigen Architekten wie querkraft allerdings durch raffinierte Winkelzüge ausgetrickst wird, wie das Passivwohnhaus beweist, das sie in der Wiener Universumstraße gebaut haben. Kein Tabu sollte auch das Hinterfragen der Vorgaben bezüglich behindertengerechten Bauens bzw. der geltenden Brandschutzverordnungen sein. So wichtig diese auch seien, ortet der Architekt hier einen virulenten gesamtgesellschaftlichen Dialogbedarf.

Wie die vergangenen Wahlen gezeigt haben, ist leistbares Wohnen eines der entscheidenden Themen. Wobei das Zauberwort „smart“ immer öfter zu hören ist, was nichts anderes als Wohnungen mit immer weniger Quadratmetern bedeutet. Für Erhartt eine Absurdität angesichts trotz aller Krisen ständig opulenterer Tempel, die sich Banken und Versicherungen bauen. Rechnet man sich aus, wie viele Wohnungen sich stattdessen oder auch statt eines neuen Autobahnanschlusses oder neuer Autobahnen bauen ließen, sollte dies laut Meinung des Architekten nachdenklich stimmen. So problematisch Gegenrechnungen dieser Art auch immer sein mögen.

Eines der zentralen Themen des Bauens heute ist Energieeffizienz. Die dank Niedrigenergie- bzw. Passivhausstandards erfreulicherweise immer besser wird. Das Problem diesbezüglich ortet querkraft-Architekt Gerd Erhartt beim Altbestand, mehr noch allerdings beim Verkehr. Um die Ernsthaftigkeit der Regierungen­ in Sachen Umsetzung der Kyoto-Ziele in Frage zu stellen. Zarte Hoffnungen nährt Erhartt beim Mobilitätsverhalten der jungen Generation, wo das Auto­ nicht mehr Statussymbol Nr. 1 sei. Um gleichzeitig ein Hinterfragen der behördlichen Stellplatzverordnungen einzufordern, die bis zu 20 Prozent der Baukosten verschlingen. Zu Lasten größerer Wohnungen, von gemeinschaftlich nutzbaren Freiflächen.

68 Prozent aller Österreicher leben in den neun Landeshauptstädten, Tendenz steigend. Um noch ein weiteres Ausfransen der Städte in die Peripherie zu vermeiden, sieht Erhartt als praktisch einzige logische Alternative deren vertikale Verdichtung. Also das Wohnen in Türmen, die als hybride Gebäude angelegt sein müssen, in der sich die Funktionen sinnvoll durchmischen. Visionen diesbezüglich hätte querkraft bereits in der Schublade.

Realisiert wird allerdings ihre Wiener Citygate. Als Hochhaus, in dem es sich lebenswert wohnt. Konzipiert als kompakter Baukörper mit effizienten Grundrissen. Herz des Gebäudes ist eine vertikal über alle Geschoße angelegte „Dorfstraße“ mit einer raffinierten Mischung von Outdoor- und Indoor-Nutzungen. Denn warum sollte es keinen Sandspielplatz im 20. Geschoß geben, fragt sich Erhartt. Rund um den Wohnturm wird ein Balkonband gezogen inklusive Fensternischen, die als Sitzbänke nach außen funktionieren.