Auf dem Weg zum Anschluss
Der Politologe Emmerich Tálos hat die Jahre 1933 bis 1938 neu beleuchtet. Dem Einmarsch Hitlers konnte das Regime nichts entgegensetzen.
Von Wolfgang Sablatnig
Wien –„Austrofaschismus“? „Ständestaat“? „Diktatur“? Die Jahre 1933 bis 1938 von der Ausschaltung des Parlaments durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bis zum „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland gehören zu den umstrittensten in der österreichischen Geschichte. Der Politologe Emmerich Tálos hat die Zeit mit einer umfangreichen Monographie neu beleuchtet.
Tálos beschreibt ein schwaches Regime, das mit enormem Aufwand zu seiner Legitimation eine „Österreich-Ideologie“ schaffen wollte. In Anlehnung an den deutschen und vor allem den italienischen Faschismus seien autoritäre Strukturen geschaffen, das „Führerprinzip“ durchgesetzt und eine „breite, ausdifferenzierte Repressionsmaschinerie“ eingerichtet worden.
Tálos’ Resümee ist klar: Für das Regime Dollfuß’ und seines Nachfolgers Kurt Schuschnigg sei „Faschismus“ bzw. „Austrofaschismus“ der zutreffende Begriff – der von konservativer Seite freilich zurückgewiesen wird. Die Bezeichnung „Ständestaat“ lehnt Tálos ab. Die habe auf dem Papier Gültigkeit besessen, nicht aber in der Realität. „Erstaunlich“ ist für ihn, dass im ÖVP-Parlamentsklub noch immer ein Bild von Dollfuß hängt, obwohl dieser doch den Parlamentarismus beseitigt habe.
Außerdem sieht der Autor im Austrofaschismus einen Wegbereiter des Anschlusses an Deutschland im März 1938. Zwar hatte sich das Regime die Selbstständigkeit Österreichs an die Fahnen geheftet. Dennoch dürften die inneren Gründe für den Anschluss nicht übersehen werden, betonte Tálos bei der Präsentation des Buches. Seit 1936 habe sich Österreich immer mehr den deutschen Interessen untergeordnet. 1938 habe der Austrofaschismus dann nichts mehr entgegensetzen können. Die Bevölkerung sei in den Jahren davor von allen Entscheidungen ausgeschlossen, die Arbeiterbewegung ausgeschaltet worden.
Der Politologe hat für seine Arbeit erstmals das Archiv der „Vaterländischen Front“, der Massenorganisation des Austrofaschismus, heranziehen können. Dieses Archiv war nach 1945 nach Moskau gelangt und erst Ende 2009 an Österreich zurückgegeben worden.
Aus diesen Akten geht auch hervor, wie das Regime selbst seinen Rückhalt einschätzte. Ein Bericht aus dem Jahr 1936 hält die Hälfte der Mitglieder für „politisches Treibholz“. Und von den anderen 50 Prozent seien nur 25 „vaterländisch-treu“. 15 Prozent hingegen werden als „nationalsozialistisch“ eingeschätzt, die übrigen zehn Prozent als „marxistisch“.
Emmerich Tálos: Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933-1938, LIT-Verlag, 632 Seiten, 34,90 Euro (brosch.), 79,90 Euro (geb.).