Ein Jahr Präsident Mursi

Mursi und die Mühsal der Macht

Ein knappes Jahr nach dem Amtsantritt von Präsident Mursi herrschen in Ägypten weiterhin Gewalt und Not.

Kairo –Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Präsident Mohammed Mursi und seinen Muslimbrüdern entgleitet laut Berichten zunehmend die Kontrolle über das von den Wirren der Revolution und einer tiefen Wirtschaftskrise erschütterte Land.

Am Freitagabend kam es in der zweitgrößten Stadt Alexandria erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen. Bei einer Massenschlägerei kam ein koptischer Christ ums Leben, Dutzende Menschen wurden verletzt, berichtete die staatliche Zeitung Al-Ahram.

Auslöser soll ein Streit zwischen zwei jungen Männern gewesen sein, der in eine Familienfehde und schließlich in die Massenschlägerei ausartete. Die Polizei brauchte zwei Stunden, um die kämpfende Menge aufzulösen. Acht Personen wurden festgenommen.

Seit dem Sturz des Autokraten Hosni Mubarak und der Machtübernahme durch die Muslimbrüder haben die Spannungen zwischen der christlichen Minderheit und der muslimischen Mehrheit stark zugenommen. Immer wieder kommt es zu Gewalt. Christen werfen den Muslimbrüdern vor, nicht konsequent genug gegen Salafisten vorzugehen, eine fundamentalistische Strömung im Islam.

Zugleich halten auch die Proteste gegen Präsident Mursi und die Herrschaft der Muslimbrüder an. Am Freitag forderten erneut Tausende Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo den Rücktritt der politischen Führung und vorgezogene Neuwahlen.

Mursis Gegner werfen ihm vor, die Revolution verraten zu haben. Sie haben jetzt eine Petition gegen den Präsidenten gestartet. Bis Ende Juni, dem ersten Jahrestag von Mursis Amtsantritt, sollen 15 Millionen Ägypter unterzeichnet haben – das wären mehr, als der Präsident seinerzeit an Stimmen erhalten hat.

Die Bewegung gegen Mursi nennt sich Tamrod, was auf Arabisch so viel wie Rebellion bedeutet. Mursi habe „keine Sicherheit geschaffen und keine soziale Gerechtigkeit, und er hat gezeigt, dass er ein Totalausfall ist und nicht fähig, ein Land wie Ägypten zu regieren“, heißt es in ihrer Petition.

Mehr als zwei Millionen Menschen sollen bereits unterschrieben haben. Mehr als 5000 Aktivisten kopieren die Petition auf eigene Kosten und legen sie in Cafés, an Straßenecken und an Verkehrsampeln aus.

Zugleich steht Mursi aber auch unter Druck der Sicherheitskräfte. Am Sinai haben militante Islamisten und entlaufene Häftlinge sieben Polizisten und Soldaten entführt. Sie fordern die Freilassung von inhaftierten Gesinnungsgenossen. Eine Gruppe Soldaten hat jetzt aus Solidarität mit den Geiseln am Grenzübergang Rafah einen Sitzstreik begonnen.

Am Sinai herrscht seit Beginn der ägyptischen Revolution ein Machtvakuum, das militante Islamisten, Schmuggler und Banditen für ihre Zwecke nutzen. Immer wieder kommt es in der Region zu Entführungen und Anschlägen – etwa auf die Pipeline nach Israel. Auch israelische Grenzposten und der Touristenort Sharm el-Sheik waren bereits von Auseinandersetzungen betroffen. (floo, dpa, APA, Reuters)