Finanzexperte Orescharski ist neuer Regierungschef Bulgariens
Der Parteilose wurde mit 120 Stimmen gewählt. Auch sein Kabinett wurde vom Parlament bestätigt. Die Gegenstimmen kamen von der GERB-Partei.
Sofia – Bulgarien hat eine neue Regierung. Das bulgarische Parlament wählte am Mittwoch das Kabinett des parteilosen Finanzexperten Plamen Orescharski ins Amt. Für den 52. Ministerpräsidenten Bulgariens und seine 16 Minister stimmten 119 Abgeordneten der Bulgarischen sozialistischen Partei (BSP) und der Bewegung für Rechte und Freiheiten DPS, welche die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien vertritt. Gegen das Kabinett Orescharski stimmten 98 Volksvertreter.
Diese Mehrheit reichte aus, weil die Fraktion der stärksten Parlamentskraft, der bürgerlichen GERB-Partei, zu Beginn der Parlamentssitzung den Saal verlassen hatte. Diesen Schritt hatte der frühere Ministerpräsident und GERB-Parteichef Bojko Borissow am Dienstag bereits angekündigt. Mit den Sozialisten, der Türkenpartei und den Nationalisten von Ataka gebe es bereits eine Dreierkoalition im Parlament und für die Abstimmung wären die 97 GERB-Abgeordneten daher überflüssig, hatte er erklärt.
Die Abstimmung im Parlament war wegen der Patt-Situation in der Sitzverteilung nach den vorgezogenen Parlamentswahlen mit Spannung erwartet. Denn die Sozialisten und ihr Koalitionspartner DPS verfügen über exakt die Hälfte der Mandate im 240-köpfigen Parlament und somit über keine Mehrheit für die Regierungswahl. Laut Verfassung ist es jedoch möglich, dass das Kabinett mit weniger als 121 Stimmen - mit der einfachen Mehrheit der Anwesenden - gewählt wird.
Die Parlamentssitzung kann jedoch nur mit der Anwesenheit von mindestens 121 Volksvertretern eröffnet werden, die sich im computergestützten Parlamentssystem eingeloggt haben. Da Borissows GERB-Partei (Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens) an der Parlamentssitzung nicht teilgenommen hat, zwang sie die nationalistische Ataka dadurch im Plenum zu bleiben, um das notwendige Quorum für die Abstimmung im Plenarsaal zu sichern. Entscheidend war, dass sich von der Fraktion der nationalistischen Ataka nur Parteichef Wolen Siderow einloggte und so die heutige Parlamentssitzung für die Regierungswahl legitimierte. Die restlichen 22 Ataka-Abgeordneten waren zwar im Saal, ließen sich jedoch nicht einloggen.
Damit wurde aber auch die notwendige Mehrheit für die Abstimmung verringert, was die Regierungswahl nur mit den Stimmen der Sozialisten und der Türkenpartei möglich gemacht hat. An der Abstimmung über den Ministerpräsidenten und sein Kabinett beteiligten sich die 23 Abgeordnete der Nationalisten dann nicht, dafür aber die GERB-Fraktion, die gegen die Regierung stimmte.
Das Quorum-Manöver hatte sich die bürgerliche GERB von den Nationalisten abgeschaut, die bei der Wahl des sozialistischen Parlamentspräsidenten Michael Mikow am 21. Mai das Plenum verlassen hatten und damit das Quorum für die notwendige Mehrheit senkten. Die Nationalisten von Ataka bilden zwar die kleinste Parlamentsfraktion, werden jedoch allem Anschein nach bei jeder Entscheidung in diesem Parlament das Zünglein an der Waage sein. Ataka-Chef Wolen Siderow hatte gleich bei der ersten Parlamentssitzung erklärt, seine Partei werde keine Regierung in diesem Parlament unterstützen. (APA)