Sturm der Mursi-Gegner auf die Zentrale der Muslimbruderschaft
Der Machtkampf in Ägypten spitzt sich zu. Am Morgen stürmen Demonstranten die Zentrale der Muslimbruderschaft in Kairo. Ihre Forderung: Präsident Mursi soll bis Dienstagnachmittag abtreten. Fünf Minister seines Kabinetts sind am Montag zurückgetreten.
Kairo – In Ägypten ist ein Ende der Gewalt und der Massenproteste gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi nicht in Sicht. Nach einer Nacht schwerer Zusammenstöße stürmten Jugendliche am Montag die Zentrale der Mursi nahestehenden Muslimbrüder in Kairo. Allein bei den stundenlangen Kämpfen um das teilweise brennende Gebäude wurden nach Angaben aus Sicherheitskreisen mindestens sieben Menschen getötet, landesweit waren es 16. Inmitten der Massenproteste gegen den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi sind vier Minister seines Kabinetts zurückgetreten. Das sagte ein Regierungsvertreter am Montag in Kairo.
Nach Angaben aus Regierungskreisen haben fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht. Es soll sich um die Ressortchefs für Tourismus, Umwelt, Kommunikation, öffentliche Versorgungsunternehmen und Parlamentsangelegenheiten handeln, hieß es aus den Kreisen. Premierminister Hescham Kandil habe ein Treffen mit den Ministern einberufen, um ihre Entscheidung zu diskutieren.
Der seit einem Jahr regierende Mursi zeigte keinerlei Bereitschaft zum Einlenken, obwohl er aus den eigenen Reihen zu Konzessionen aufgefordert wurde. Für Dienstag hat die Opposition zu neuen Protesten aufgerufen. Sie richten sich nicht nur gegen Versuche der Islamisierung, sondern auch gegen wirtschaftliche Not. Sollte der Staatschef der Aufforderung nicht nachkommen, werde es „eine Kampagne des vollständigen zivilen Ungehorsams“ geben.
Ultimatum zum Rücktritt
Die Opposition setzte Mursi am Montag ein Ultimatum zum Rücktritt bis Dienstagnachmittag um 17 Uhr. Zwar ebbten die Demonstrationen am Morgen zunächst ab, doch hielten seine weltlichen und liberalen Gegner den Rücktrittsdruck auf den Staatschef aufrecht. So harrten auf dem Tahrir-Platz, der traditionellen Versammlungsstätte der Opposition, nur noch wenige Hundert Aktive aus. Dort waren am Vorabend mehr als eine halbe Million Menschen zu den größten Protesten seit dem Sturz des früheren Präsidenten Hosni Mubarak zusammengeströmt.
Brennpunkt der Auseinandersetzungen war auch in der Früh die Zentrale der Muslimbrüder. Wachmänner schossen wiederholt auf junge Demonstranten. Später stürmten Jugendliche das Gebäude und ließen ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie sie Büromöbel und andere Einrichtungsgegenstände auf die Straße warfen. Kurz vor dem Sturm hatten Muslimbrüder das Gebäude geräumt.
Nach Darstellung der Muslimbrüder hatten Dutzende bewaffnete Oppositionelle das auf einem Hügel gelegene Gebäude am Abend umstellt, beschossen sowie mit Steinen und Brandsätzen geworfen. Nach Beobachtungen von Reuters-Journalisten wurde aus dem brennenden Haus zurückgeschossen. Vertreter der Islamisten warfen der Polizei vor, die Zentrale nicht geschützt zu haben. Am Montagmorgen waren dort keine Polizisten präsent.
„Polizei und Volk sind einig“
In Kairo und in der Hafenstadt Alexandria solidarisierten sich uniformierte Polizisten mit den Demonstranten und reihten sich mit dem Ruf „Polizei und Volk sind einig“ ein. Mehrere Polizeiführer sprachen zu den Demonstranten am Tahrir-Platz. Das weckte Zweifel, ob Mursi sich im Ernstfall voll auf die Sicherheitskräfte verlassen kann. Nach Angaben von Diplomaten will die lange dominierende Armee nicht in den Konflikt eingreifen. Solange die nationale Sicherheit nicht bedroht sei, blieben die Soldaten in den Kasernen.
Mursi selbst hat Fehler eingeräumt und ihre Behebung angekündigt. Er zeigte sich aber entschlossen, im Amt zu bleiben. Ein Berater Mursis nannte drei Möglichkeiten, die Krise beizulegen: „Das Offenkundigste“ seien Neuwahlen zum Parlament. Denkbar seien aber auch ein nationaler Dialog, den die Opposition allerdings verweigere, oder die von Mursis Gegnern verlangte Präsidentenwahl, die aber die Demokratie zerstören würde.
Frauenrechtlerinnen klagten über organisierte sexuelle Übergriffe auf dem Tahrir-Platz. Denen seien mindestens 43 Frauen, darunter eine ausländische Journalistin zum Opfer gefallen. (APA/dpa/Reuters/AFP)