USA spionieren Europa aus

Nach diplomatischem „Shitstorm“: Barack Obama gelobt Aufklärung

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Verwanzte Büros der EU, Schnüffel-Attacken gegen „Freunde“: Europa reagiert verschnupft und mit einer gehörigen Portion Empörung auf die jüngsten Enthüllungen US-amerikanischer Spionage-Tätigkeit. Nun hat Barack Obama persönlich Aufklärung versprochen.

Washington – Der Druck auf die USA wurde im Verlauf des Montags immer größer, nachdem über das Wochenende immer mehr Details zu Spionage-Attacken der USA gegen „Partner“ aus Europa bekannt wurden. Die diplomatischen Wogen gehen jedenfalls hoch. Wie ernst die Situation ist, kann man auch daran erkennen, dass die EU den US-Botschafter William Kennard vorgeladen hat. Ein äußerst seltener Vorgang – und diplomatisch ein deutliches Signal.

Kennard müsse sich mit dem EU-Spitzendiplomaten Pierre Vimont über die Spionage-Programme austauschen, teilte die Europäische Union mit. Außerdem liefen auch die Drähte zwischen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und dem US-Außenminister John Kerry heiß. Kerry selbst bestätigte zwar das Gespräch, wollte aber keine Einzelheiten nennen.

Allerdings wies Kerry Kritik zurück. Jedes Land der Welt, das in der internationalem Politik und in Fragen der nationalen Sicherheit tätig sei, sammle zum eigenen Schutz Informationen. „So weit ich weiß, ist das in vielen Ländern nichts Außergewöhnliches“, erklärte der US-Außenminister. Dass unter anderem die Europäische Vertretung in Washington mit Abhörgeräten verwanzt worden sein soll, kann allerdings nur schwer als übliche Verhaltensweise deklariert werden.

„Politischer Schaden“

„Wenn es wahr ist, dass die Amerikaner ihre Verbündeten ausgespäht haben, wird es einen politischen Schaden geben“, hieß es daher auch aus EU-Kreisen in Brüssel. Die Spähangriffe gingen offenbar „weit über die Anforderungen für die nationale Sicherheit hinaus“.

Die EU-Kommission forderte von den USA rasch Klarheit. Ob es Auswirkungen auf das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA geben könnte, wurde vorerst damit beantwortet, dass es zu diesem Zeitpunkt vorranging um Aufklärung gehe.

Obama verspricht Aufklärung

Der Druck auf die USA stieg im Laufe des Montags allerdings stündlich. Staatsleute aus vielen EU-Staaten äußerten sich extrem kritisch (siehe weiter unten). Am späten Nachmittag schaltete sich dann auch US-Präsident Barack Obama in die Debatte ein. Er versprach – noch auf Reisen in Afrika befindlich – den Europäern Aufklärung über das angebliche massive Ausspähen europäischer Behörden zugesagt. „Wir sind dabei, den Artikel zu prüfen“, sagte er mit Blick auf jüngste Veröffentlichungen im Spiegel. Es sei noch unklar, welche Geheimdienstprogramme darin genau angesprochen worden seien. „Danach werden wir unsere Verbündeten angemessen unterrichten“, sagte Obama am Montag in Daressalam in Tansania.

In Bezug auf Deutschland fügte Obama ganz grundsätzlich hinzu: „Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an... Letztlich arbeiten wir so eng zusammen, dass es fast keine Informationen gibt, die wir nicht zwischen unseren Ländern teilen“.

Sicherheitsüberprüfung aller EU-Büros

Die Europäische Kommission hat eine Sicherheitsüberprüfung in allen EU-Büros weltweit veranlasst. Kommissionspräsident José Manuel Barroso habe eine „umfassende sofortige Sicherheitsüberprüfung“ angeordnet, sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen am Montag in Brüssel. Die Berichte über Lauschangriffe auf die EU-Büros in Washington und New York seien „verstörend“ und verlangten „volle Aufklärung“.

„Klarheit und Transparenz ist es, was wir von unseren Partnern und Verbündeten erwarten, und das ist es, was wir von den USA erwarten“, fügte die Sprecherin hinzu. Kommissionssprecher Michael Mann stellte heraus, dass die Enthüllungen auf das Jahr 2010 zurückgingen und die EU-Vertretungen in Washington und New York seitdem umgezogen seien. Mittlerweile sei „ein vollkommen neues Sicherheitssystem“ in ihren Räumlichkeiten installiert worden.

Auch Frankreich und Griechenland ausspioniert

Nach Informationen des Guardian hat die NSA auch die diplomatischen Vertretungen von Frankreich, Italien und Griechenland in Washington und bei den Vereinten Nationen ausgespäht. Die NSA habe in den Botschaften und UN-Vertretungen unter anderem Wanzen installiert und Kabel angezapft, berichtete die britische Zeitung am Sonntag auf ihrer Internetseite unter Berufung auf Dokumente des flüchtigen IT-Spezialisten Edward Snowden. Insgesamt seien in den NSA-Dokumenten 38 Überwachungsziele genannt worden, darunter auch Japan, Mexiko, Südkorea, Indien und die Türkei.

Bei der Überwachung seien nach Informationen der britischen Zeitung Telefone und Faxgeräte angezapft worden. Unter dem Codenamen „Dropmire“ wurden beispielsweise mit einer Wanze diplomatische Schreiben abgefangen, die von einem verschlüsselten Faxgerät in der EU-Botschaft in Washington an die Außenministerien europäischer Länder geschickt wurden. Dabei erhoffte man sich dem Bericht zufolge Einblicke in mögliche Meinungsverschiedenheiten zwischen EU-Mitgliedsländern.

Bericht über Lauschangriff

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatte zuvor bereits über NSA-Lauschangriffe auf EU-Einrichtungen berichtet. Auch in Deutschland wurden demnach monatlich rund eine halbe Milliarde Telefonate, E-Mails oder SMS überwacht. Laut Spiegel betrachten die USA Deutschland zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel. Die Berichte stießen auf heftige Empörung. EU-Kommissarin Viviane Reding drohte damit, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen EU und den USA ruhen zu lassen, sollten die Berichte zutreffen. „Partner spionieren einander nicht aus“, sagte sie in Luxemburg.

Keine Hinweise auf Überwachung Österreichs

Laut Innenministerium derzeit keine Hinweise, dass auch österreichische Regierungsstellen direkt von Spionageangriffen betroffen waren. Auch gebe es aktuell keine Hinweise, dass Telefon- und Internetverbindungen in Österreich überwacht worden seien. Für das weitere Vorgehen sei es notwendig, sich auf europäischer Ebene abzustimmen, hieß es am Montag auf APA-Anfrage aus dem Innenministerium.

Man warte weiter auf eine Antwort auf die vor rund zwei Wochen an die US-Botschaft gerichtete Anfrage. Darin war der diplomatischen Vertretung in Österreich ein Fragenkatalog zum Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes NSA übermittelt worden. Unter anderem wurde erfragt, ob personenbezogene Daten österreichischer Staatsangehöriger, sich in Österreich befindlicher Personen oder Unternehmen erhoben bzw. verarbeitet werden. Mit einer Antwort werde in den nächsten Wochen gerechnet, so Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck am Montag.

Spindelegger warnt vor tiefem Riss in Beziehungen

Sollten sich US-Spionagevorwürfe wie sie gegenwärtig für zahlreiche EU-Staaten bestehen auch für Österreich bestätigen, hätte dies einen tiefen Riss in den Beziehungen zwischen den USA und Österreich zu Folge. Dies erklärte Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) am Montagabend im ZIB2-Interview des ORF. Er gehe jedoch davon aus, „dass die USA sagen wird, das stimmt nicht,“ so Spindelegger. Etwas anderes könne er sich gar nicht vorstellen.

US-Botschafter William Eacho habe ihm in einem Gespräch am Montagabend konkrete Antworten auf die bereits vor drei Wochen von Innenministerin Mikl-Leitner (ÖVP) überreichten 16 Fragen zur US-Abhöraffäre zugesichert. Er erwarte sich nun „möglichst rasch, binnen Tagen“ eine Antwort und Klarheit darüber, ob US-Abhöraktionen in Österreich tatsächlich ausgeschlossen werden können. „Damit wir nicht wieder überrascht werden, von irgendwelchen Enthüllungen,“ so der Außenminister.

Auch dass die Vorwürfe, die USA hätten gezielt EU-Einrichtungen in Brüssel, Washington und New York ausspioniert, geklärt werden müssten, habe er dem US-Botschafter mitgegeben. Denn es sei „unmöglich“, dass „unsere Verhandlungspositionen abgehört werden“, sagte Spindelegger.

Fischer „irritiert und besorgt“

Bundespräsident Heinz Fischer hatte sich am Montag „irritiert und besorgt“ über Berichte bezüglich der Aktivitäten des US-Geheimdienstes gegen Personen und Institutionen in Europa gezeigt. In einer Stellungnahme bezeichnete das Staatsoberhaupt eine „umfassende, rasche und wahrheitsgemäße Aufklärung“ als „absolut notwendig“.

Der Kampf gegen den Terrorismus könne bei solchen Aktivitäten „mit Sicherheit nicht als Rechtfertigung ins Treffen geführt werden und ist auch keine Blankovollmacht für Verstöße gegen wichtige Rechtsgrundsätze“, sagte der Bundespräsident.

„Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel“

Frankreichs Staatschef Francois Hollande äußerte sich ähnlich und forderte ein sofortiges Ende der Spionage in Europa. „Wir können ein solches Verhalten unter Partnern und Verbündeten nicht akzeptieren“, sagte Hollande. „Wir verlangen, dass das sofort aufhört.“ Es lägen bereits ausreichend Hinweise über die Geheimdiensttätigkeiten vor, um von den USA „Erklärungen“ einzufordern.

Mit Befremden hat auch die deutsche Bundesregierung auf die mutmaßlichen Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland und der EU reagiert. Sie verlangt von Washington rasche Klarheit. „Wenn sich bestätigt, dass tatsächlich diplomatische Vertretungen der Europäischen Union und einzelner europäischer Länder ausgespäht worden sind, dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.

„Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“ Auch Bundespräsident Joachim Gauck forderte Aufklärung.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel werde in Kürze darüber mit US-Präsident Barack Obama sprechen, sagte Seibert. Das Auswärtige Amt teilte mit, dass der US-Botschafter in Berlin für Montagnachmittag zu einem Gespräch erwartet werde. Eine förmliche „Einbestellung“ sei dies jedoch nicht. (tt.com, APA, AFP, dpa)