Ultimatum der Armee

Mursi weiter geschwächt: Chance für Umsturz in Ägypten steigt

Die politischen Lager in Ägypten stehen sich unversöhnlich gegenüber, die Wahrscheinlichkeit für einen Putsch der Armee steigt. Der Autor und Politologe Hamed Abdel-Samad glaubt aber nicht, dass es zu einer Militärdiktatur kommt.

Kairo – In der Nacht zum Dienstag hat sich die Lage in Ägypten noch einmal verschärft. Während in den großen Städten zehntausende Menschen gegen Präsident Mursi demonstrierten, stellte das Militär den Muslimbrüdern ein Ultimatum von 48 Stunden, um den Konflikt beizulegen.

„Wenn die Forderungen der Menschen in Ägypten nicht innerhalb der Frist erfüllt werden, wird das Militär - gemäß seiner nationalen und historischen Verantwortung - einen Plan für die Zukunft verkünden und eine Reihe von Maßnahmen einleiten, die unter Beteiligung aller politischen Fraktionen umgesetzt werden“, hieß es seitens der Armeeführung. Aus Besorgnis um die nationale Sicherheit kündigte die Polizei ihre volle Solidarität mit der Erklärung der Streitkräfte an.

Mursi wies das Ultimatum zurück, seine Anhänger riefen zu landesweiten Demonstrationen auf. Ein Gremium aus einflussreichen islamistischen Politikern und Geistlichen rief die Ägypter in allen Provinzen auf, die legitime Führung im Land zu verteidigen. „Jeder Putsch gegen die legitime Regierung und Verfassung wird das Land in Chaos und eine ungewisse Zukunft stürzen“, erklärten die Islamisten. Sie mahnten zugleich eine friedliche Lösung an.

Gerichtsentscheidung schwächt Mursi weiter

Ob Mursi die Macht halten kann, wird aber von Tag zu Tag zweifelhafter. Seine Position wurde am Dienstag weiter unterminiert, nachdem die ägyptische Justiz den von ihm geschassten Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmoud wieder eingesetzt hat. Der Berufungsgerichtshof habe „ein abschließendes Urteil“ zur Rückkehr Mahmouds in sein Amt gefällt, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Mena am Dienstag. Mursi hatte Mahmoud am 22. November entlassen und einen Nachfolger eingesetzt. Zugleich erklärte der Staatschef seine eigenen Entscheidungen mit einem Verfassungszusatz für rechtlich unanfechtbar, was er später nach Protesten wieder zurücknahm.

Die Entscheidung des Gerichts bedeutet eine weitere Schwächung Mursis. Seit Sonntag traten bereits mehrere Mitglieder seines Kabinetts zurück, darunter auch Außenminister Mohammed Kamel Amr. Bei landesweiten Protesten gegen den umstrittenen Präsidenten mit Millionen von Teilnehmern waren am Sonntag mindestens 16 Menschen getötet und 780 verletzt worden. Auch die Opposition setzte Mursi am Montag ein Ultimatum bis Dienstagnachmittag, um zurückzutreten.

Islamkritischer Autor Abdel-Samad optimistisch

Der von einem Mordaufruf bedrohte deutsch-ägyptische Autor und Politologe Hamed Abdel-Samad sieht das jüngste Ultimatum der ägyptischen Armee zunächst positiv. „Ob man das gut oder schlecht betrachtet, werden die nächsten Tage beweisen“, sagte Abdel-Samad am Montagabend in München.

Er glaube aber nicht, dass es eine Militärdiktatur geben werde. Das Militär, das schon auf Abstand zu Präsident Mohammed Mursi gegangen sei, wolle mit dem Schritt eher weiteres Chaos abwenden. „Das Militär will graue Eminenz im Hintergrund bleiben und halbwegs demokratische Strukturen zulassen.“

Die Armee hatte verlangt, dass binnen 48 Stunden wieder Ruhe im Land einkehren müsse. Auf dem Tahrir-Platz, wo Zehntausende gegen Mursi protestierten, rief die Ankündigung Jubel hervor.

Rund 14 Millionen Menschen hätten am Sonntag im ganzen Land demonstriert, sagte Abdel-Samad. „Das hat es in der Geschichte von Ägypten nie gegeben.“ Er blicke deshalb optimistisch in die Zukunft. „Ich sehe, dass viele junge Frauen und Männer zum zweiten Mal in zwei Jahren millionenfach auf die Straße gehen, um für Demokratie zu demonstrieren. Das macht mir Hoffnung.“ (tt.com, APA/dpa)