„Über Goethe Kluges zu sagen, ist einfach“
Bachmann-Preis-Juror Burkhard Spinnen über ekelhafte Selbstdarsteller, Sieger als Hilfskonstruktion und das Geheimnis der Literatur.
Schon vor der aktuellen Diskussion um die Zukunft des Bachmann-Preises wurde der Wettbewerb als wenig zeitgemäß kritisiert.
Burkhard Spinnen: Den Vorwurf höre ich seit Jahren und kann nur immer wieder sagen, dass das Lesen und Besprechen von Literatur optisch vergleichsweise unspektakulär sein mag. Der Bachmann-Wettbewerb ist Literatur in Reinform. Das ist mehr als bloße Unterhaltung: Literatur ist die höchste Form des Gesprächs mit dem Selbst und den anderen Menschen. Wenn wir daran Hand anlegen, legen wir Hand an uns selbst und unsere Konstitution. Das klingt jetzt vielleicht etwas gestelzt, aber ich meine es absolut ernst. Sollten wir eine der wichtigsten Kulturtechniken, die wir haben, irgendwelchen Moden unterwerfen, uns telegene Mätzchen dafür ausdenken?
Das vielleicht nicht, aber die Kritik betrifft ja auch das Format selbst: Juroren als Scharfrichter junger Autoren ...
Spinnen: Der Bachmann-Wettbewerb war schon Castingshow, als es dieses Wort noch nicht gab. Aber er hat sich eine Kultur des Arguments und des Beurteilens erhalten, die in ach so zeitgemäßen Castingshows mit Füßen getreten wird. Ich habe nicht den Eindruck, dass es bei uns ums Abkanzeln geht. Uns geht es um den Gegenstand, die Texte. Wir reden offen über Texte, denken laut über sie nach. Was ansonsten im stillen Kämmerchen gemacht wird, tun die Juroren in Klagenfurt öffentlich. Wir versuchen, zu verstehen und zu argumentieren. Wenn man einen solchen Ansatz verfolgt, ist die Gefahr, dass die Diskussion polemisch wird, gering. Laut wird es nur, wenn man sich selbst darstellen will. Schauen Sie sich diese Castingshows an: Da wird zwei Minuten getanzt und dann gibt es zehn Minuten lang eine ekelhafte Orgie der Selbstdarstellung. Das passiert beim Bachmann-Preis nicht, hier geht es nicht um Selbstdarstellung, sondern um die Texte. Alle, die vom Wettbewerb verlangen, dass er Ernsthaftigkeit und quotenwirksame Polemik kombinieren soll, erinnert mich an die Menschen, die in ein Vier-Sterne-Restaurant gehen und sich als Erstes nach dem Ketchup erkundigen.
Sie sind seit 13 Jahren Mitglied der Jury. Was macht für Sie persönlich den Reiz dieser Aufgabe aus?
Spinnen: Der Bachmann-Wettbewerb ermöglicht es, am Anfang der Rezeption von Literatur teilzuhaben. Wir sitzen gewissermaßen an der Quelle und wissen nicht, ob aus dem kleinen Rinnsal, das wir beobachten, irgendwann ein reißender Strom oder ein kleines Bächlein wird. Etwas Kluges über Goethe zu sagen, ist schön. Aber etwas über die Texte des Wettbewerbs zu sagen, ist ungleich schwieriger – man beurteilt etwas Rohes. Das ist eine ständige Herausforderung.
Mit welchen Erwartungen fahren Sie jetzt nach Klagenfurt.
Spinnen: Ich fahre mit der Bereitschaft zu lernen nach Klagenfurt. Eines weiß ich nach so vielen Jahren als Juror genau: Man lernt über diese Texte aus dem Juryurteil der anderen etwas, das man nicht für möglich gehalten hätte. Das unterstreicht einen der wichtigsten Aspekte von Literatur: die Mehrdeutigkeit. Natürlich einigen wir uns am Ende auf einen Sieger. Aber das ist eine Hilfskonstruktion: Im Grunde geht es darum, dass Literatur immer erst in der Wahrnehmung des Lesers entsteht. Was den einen begeistert, stößt den anderen vor den Kopf. In dieser Kraft liegt der Zauber – und das große Geheimnis.
Das Gespräch führte Joachim Leitner