US-Spionage in EU

Spindelegger warnt vor tiefem Riss in Beziehungen zu USA

Große Empörung herrscht über das mutmaßliche Ausspionieren von EU-Institutionen durch den US-Geheimdienst. Neben der Forderung nach voller Aufklärung, werden auch die momentan laufenden Gespräche über ein Freihandelsabkommen in Frage gestellt.

Wien/Washington/Brüssel – Das mutmaßliche Ausspionieren von EU-Einrichtungen durch den US-Geheimdienst NSA vergiftet das transatlantische Klima. Wie in allen potenziell betroffenen EU-Staaten, lösten die Enthüllungen durch die Zeitungen Guardian und Spiegel auch in Österreich große Besorgnis aus.

Sollten sich die Spionagevorwürfe bestätigen, hätte dies einen tiefen Riss in den Beziehungen zwischen den USA und Österreich zu Folge, erklärte Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) am Montagabend im ZiB2-Interview des ORF.

US-Botschafter William Eacho habe ihm in einem Gespräch am Montagabend konkrete Antworten auf die bereits vor drei Wochen von Innenministerin Mikl-Leitner (ÖVP) überreichten 16 Fragen zur US-Abhöraffäre zugesichert. Er erwarte sich nun „binnen Tagen“ eine Antwort und Klarheit darüber, ob US-Abhöraktionen in Österreich tatsächlich ausgeschlossen werden können.

Luxemburg stellt Freihandelsgespräche in Frage

Deutlich erschwert werden nun auch die derzeit laufenden Gespräche über eine Freihandelszone zwischen EU und USA. So machte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn weitere Gespräche davon abhängig, dass die Amerikaner ein Ende ihrer Ausspähungen garantieren. Ein Abkommen sei unter den aktuellen Bedingungen „einfach nicht möglich“, sagte Asselborn am Dienstag.

Die EU müsse daher jetzt „klare Kante zeigen“ und eine offene Aufklärung durch die USA fordern. „Die Antwort darf nicht nur auf den diplomatischen Kanälen kommen. Hier muss im offenen Kanal der Weltöffentlichkeit geredet werden.“ Die vielbeschworenen unbegrenzten Möglichkeiten Amerikas dürften nicht in einen „digitalen Kalten Krieg“ führen.

Asselborn kritisierte die US-Bespitzelungen scharf. „Wenn jedes Land das machen kann, was die USA sich erlauben, dann brauchen wir keine Diplomatie mehr, denn dann haben wir keine Diplomatie mehr.“ US-Präsident Obama müsse zudem einsehen, „dass diese Dienste außer Kontrolle geraten sind, dass hier Totengräber der demokratischen Spielregeln am Werke sind“.

EU-Spitzen fordern vollständige Aufklärung

Auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bezeichnete die Berichte als „sehr beunruhigend“. „Wir wollen Transparenz und Klarheit von unseren Alliierten und das erwarten wir auch von den amerikanischen Partnern“, sagte er am Dienstag im Europaparlament in Straßburg. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, zeigte sich „wirklich besorgt“ bezüglich der Berichte.

Beide Spitzenpolitiker versicherten, dass die EU umgehend bei den USA um eine vollständige Aufklärung der Vorwürfe ersucht habe. Barroso sagte, dass sich EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in dieser Sache auch persönlich mit US-Außenminister John Kerry gesprochen habe. „Wenn sich diese Nachrichten als richtig erweisen sollten, wäre das sehr beunruhigend und schwerwiegend“, sagte Barroso.

Eine geschlossene Reaktion der europäischen Staaten forderte der französische Präsident Francois Hollande. „Es ist notwendig, dass Europa eine koordinierte, gemeinsame Position hat in der Frage, welche Forderungen wir stellen und welche Erklärungen wir einfordern müssen.“

US-Präsident Barack Obama bemühte sich unterdessen, die Wogen zu glätten und sicherte den Europäern alle gewünschten Informationen zu.

Europaparlament erwägt Untersuchungsausschuss

Das Europaparlament wollte am morgigen Mittwoch in einer Plenardebatte über die Affäre beraten. Für Donnerstag war die Verabschiedung einer Resolution geplant. Möglicherweise soll auch ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden. EU-Abgeordnete hatten sich bereits am Wochenende empört über die Berichte zur US-Spionage gezeigt.

Parlamentspräsident Martin Schulz sprach am Montagnachmittag bei der Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg von einem „sehr schweren Schlag für die Beziehungen zwischen der EU und den USA“.

Geheimdienstexperte: Übliche Praktiken

Der Historiker und Geheimdienstexperte Siegfried Beer zeigte sich gegenüber der APA wenig überrascht von den Vorwürfen. Wer etwas realistisch sei, wisse, dass die in den Medienberichten angesprochenen Praktiken bei Geheim- und Sicherheitsdiensten üblich seien und aus deren Sicht eine „Routineangelegenheit“, erklärte Beer. „Daher nehme ich den Politikern die Empörung nicht ganz ab.“

In der Geschichte hätten Geheimdienste stets nicht nur die Feinde des eigenen Landes, sondern auch die eigenen Freunde überwacht. „Schließlich ist auch die EU nicht nur Partner sondern auch ein Konkurrent für die USA“, so der Geheimdienstspezialist. (tt.com, APA/Reuters)