Sozialer Wandel

Chinas Kampf gegen den Verfall des Zusammenhalts in Familien

In China gilt seit Montag ein Gesetz, das Kinder zu Besuchen ihrer Eltern unter Strafandrohung verpflichtet. Was sich skurril anhört ist in Wahrheit durchaus ernst zu nehmen. Denn in China droht die traditionelle Familie zu zerfallen - mit möglicherweise dramatischen Konsequenzen.

Peking – Nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes zum Schutz älterer Menschen in China ist eine Frau dazu verurteilt worden, ihre Mutter mindestens alle zwei Monate zu besuchen. Ein Gericht im ostchinesischen Wuxi ordnete am Montag außerdem laut einem Bericht der Zeitung „Wuxi Daily“ vom Dienstag an, dass die Tochter mindestens zwei der nationalen Ferien in China bei ihrer gehbehinderten 77-jährigen Mutter verbringen müsse. Bei Missachtung der Gerichtsentscheidung, die auch für den Mann der Tochter gilt, könnten Strafzahlungen angeordnet werden.

Das Paar hatte dem Bericht zufolge zugesichert, sich um die alte Frau zu kümmern, deren Name nur mit Chu angegeben wurde. Nachdem die Mutter nach einem Familienstreit aber bei ihrem Sohn eingezogen sei, hätten die Tochter und ihr Mann sie nicht mehr besucht.

Gesetz gegen der Verfall

Am Montag war in China das Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen älterer Menschen in Kraft getreten, das dem Verfall des traditionellen Familienzusammenhalts in der Volksrepublik entgegenwirken soll. Es schreibt vor, dass Menschen über 60 „oft“ von ihren Verwandten besucht werden müssen. Was „oft“ bedeutet wird im Gesetzestext allerdings nicht genauer definiert.

Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes hatten Berichte über vernachlässigte und misshandelte alte Menschen landesweit für Empörung gesorgt.

Doch es sind nicht die jüngst thematisierten Probleme, die dem Land Sorgen bereiten. China kämpft gegen widerstreitende Kräfte: Einerseits droht das bevölkerungsreiche Land zu überaltern. Andererseits würde eine Abkehr von der Ein-Kind-Politik zu einem ebenfalls ungesunden raschen Bevölkerungswachstum führen. Beide Varianten bergen jede Menge sozialen Sprengstoff.

Eine Armee von Alten

In China sind nach Angaben der nationalen Statistikbehörde gut 14 Prozent der Bevölkerung, also 194 Millionen Menschen, älter als 60 Jahre alt. Seit den 1980er-Jahren hat sich die Zahl der über 65-Jährigen bereits verdoppelt. Und laut UN-Schätzungen wird der Anteil der Menschen im Alter ab 60 Jahren bis 2050 auf 30 Prozent bzw. 35 Prozent steigen. 80-Jährige wird es dann 395 Millionen geben. Das Verhältnis von Arbeitstätigen zu Senioren dürfte von 10:1 auf 2,8:1 sinken.

Die Herausforderungen für die Gesellschaft sind entsprechend große. Allein die Infrastruktur für die älteren Mitmenschen zur Verfügung zu stellen wird zur Mammut-Aufgabe. Dass in China die traditionelle Familie aufgrund des gesellschaftlichen Fortschritts zu erodieren droht, führt zu einem noch größeren Druck auf die öffentlichen Institutionen. Denn üblicherweise war die Versorgung von Rentnern Aufgabe der Großfamilie. (tt.com, APA, AFP)